Interview: Anna P.

Sie ist 28 Jahre jung und ihr berufliches Leben dreht sich um Kinder und Jugendliche mit Autismus. Mit social attitude hat Anna P. über ihre berufliche Laufbahn gesprochen, welchen Herausforderungen sie sich stellen muss und wieso Spaß an der Arbeit für sie das Wichtigste ist.

 

Anna, du arbeitest in deinem Beruf mit autistischen Kindern und Jugendlichen und unterstützt sie in ihrer Entwicklung. Wusstest du schon immer, dass du einmal im sozialen Bereich tätig sein willst?

Es war schon ziemlich bald klar, dass ich im sozialen Bereich arbeiten möchte. Schon in der Schule haben mich besonders die sozialen Fächer interessiert und ich habe auch während der Schulzeit begonnen, in verschiedensten sozialen Bereichen tätig zu werden. Sei es beim Praktikum im Krankenhaus oder bei der Arbeit mit Menschen mit Behinderung. Mich selber in dieser Rolle zu erleben, war dann der Schlüsselmoment, der mich dazu bewogen hat, das auch später machen zu wollen.

Die Überlegung, dass man im sozialen Bereich verhältnismäßig meist nicht viel verdient, hat mich nie abgeschreckt – dafür ist das Arbeiten mit Menschen das, was mich glücklich macht. Man könnte sagen, ich hab mich gegen die Karriere mit viel Geld entschieden, um dafür was zu machen, was mir Spaß macht (lacht). Wenn man etwas findet, worin man gut ist, kann man auch im sozialen Bereich einen guten Job finden.

Du hast Psychologie studiert. Ein Studium, das nicht unbedingt ein Muss ist, wenn man im sozialen Sektor tätig werden will. Warum hast du dich dennoch für ein Hochschulstudium entschieden?

Ich wollte schon immer Psychologie studieren, ich hatte aber auch eine Phase, gerade als es ums Einschreiben für das Studium ging, in der ich mir ein halbes Jahr lang andere Studien angesehen habe. In dem halben Jahr habe ich aber noch einmal für mich festgestellt, dass Psychologie das ist, was ich machen möchte, auch wenn es immer als ein brotloses Studium dargestellt wurde. Ich hab mich gegen all die Negativstimmen entschieden und gesagt, ich bleib dem treu und bereue es auch nicht.

Hat dich dein Studium auf das, was du heute machst, gut vorbereitet?

Das Studium ist sehr theoretisch und war wenig Vorbereitung für die Praxis. Aber ich habe immer Wert darauf gelegt, dass ich nebenbei viele Praktika mache und so herausfinde, was mir Spaß macht. Ich hab mit Erwachsenen, Kindern, mit Menschen mit unterschiedlicher Behinderung und körperlichen Erkrankungen gearbeitet und festgestellt, dass der Kinder- und Jugendbereich genau Meines ist.

Welchen Herausforderungen, denkst du, müssen sich Menschen im sozialen Bereich generell stellen?

Im sozialen Bereich ist natürlich die oftmals schlechtere Bezahlung eine Herausforderung, aber auch die hohe Verantwortung und der Stress, dem man ausgesetzt ist. Das ist ein bisschen das Unfaire, dass du einerseits mit großer Verantwortung konfrontiert bist, aber das nicht genug honoriert beziehungsweise entsprechend entlohnt wird. Ich habe auch in Kindergärten gearbeitet – dort merkt man es besonders, dass die finanziellen Ressourcen in vielen Fällen nicht da sind. Die Pädagogen gehen total motiviert rein, aber sind dann damit konfrontiert, dass der Personal-Kind-Schlüssel zu hoch ist und der Pädagoge sich nicht so viel um ein Kind kümmern kann, wie er das gerne möchte. Das ist in sehr vielen Schulen auch so zu beobachten. Die Leute hätten gute Ideen und wären motiviert, können  aber nicht alles umsetzen und das ist dann einfach sehr frustrierend. Um das zu ändern, müsste sich gesellschaftspolitisch etwas ändern, für eine Einzelperson ist das sehr schwierig, meiner Meinung nach.

Denkst du, dass jeder Mensch geeignet ist, im sozialen Bereich zu arbeiten oder gibt es gewisse Grundvoraussetzungen?

Wenn ich jetzt über meinen Tätigkeitsbereich spreche, ist das Allerwichtigste die Freude an der Arbeit mit Kindern oder Jugendlichen. Ich glaub, wenn man diese Freude nicht hat, ist man fehl am Platz.

Man muss Spaß am Umgang mit Kindern empfinden und gerne mit ihnen Zeit verbringen, sehr viel Liebe und Freude reinstecken, sonst funktioniert es nicht. Ich hab schon sehr viele Lehrer, Kindergartenpädagogen und Therapeuten kennengelernt und die, die wirklich gut sind, bei denen merkt man, dass sie authentisch Freude an der Arbeit mit Kindern haben. Die Freude daran, in jedem Kind die Stärke und das Liebenswerte zu entdecken, ist der Schlüssel, meiner Meinung nach.

Wieso hast du dich in deiner Arbeit auf Autismus spezialisiert?

 Ich habe mich schon in meiner Maturaarbeit mit dem Thema beschäftigt. Das hat mir einen ersten Einblick in die Welt von Menschen mit Autismus gewährt und das, was mich fasziniert hat ,war dass Menschen mit Autismus auf der einen Seite oftmals schwer beeinträchtigt wirken, aber gleichzeitig so viel Potential in ihnen steckt.

Generell werden autistische Menschen oft unterschätzt, weil sie scheinbar ohne Interesse nur in einem Eck sitzen oder nicht sprechen. Aber ich als Mensch, der in dem Bereich schon Erfahrung hat, weiß, dass da so viel Potential zur Weiterentwicklung ist und oftmals sehr viel Interesse an der Interaktion mit anderen Menschen, nur die Betroffenen oft nicht wissen, wie sie agieren sollen bzw. fehlen den Bezugspersonen und Pädagogen oft Ideen, wie sie die Kinder unterrichten können.

Was ist deine Kernaufgabe?

Meine spezielle Aufgabe ist einerseits die direkte Arbeit mit dem Kind, seine grundlegenden Fähigkeiten einzustufen oder den Eltern zu zeigen, wie ich mit dem Kind agieren würde. Was bei uns das Spezielle ist – ich leite Eltern an, wie sie mit ihrem Kind im Alltag agieren können, wie sie ihm verschiedene Fähigkeiten beibringen können bzw. wie sie auf herausfordernde Verhaltensweisen reagieren können. Ich gehe auch in Kindergärten, Schulen und verschiedene Therapieeinrichtungen und zeige den Lehrern und Therapeuten vor Ort, wie man mit den Kindern interagieren kann.

Grob umrissen versuche ich herauszufinden, was den Kindern Spaß macht, mich mit dem Spaß in Verbindung zu bringen, ihnen zu zeigen, dass die Interaktion mit Mitmenschen was sehr Spannendes und Lustiges sein kann. Sei es, dass wir gemeinsam schaukeln, am Trampolin springen, ich sie hochhebe und durchkitzel – je nachdem, was dem Kind halt Spaß macht. In den Spaß eingebettet versuche ich meine Lernziele unterzubringen oder an verschiedenen Verhaltensweisen zu arbeiten. Auf die Erfüllung von Anforderungen folgt stets etwas Gutes oder Lustiges für das Kind – das positive Verhalten wird so verstärkt.

Wie muss ein Tag bei dir aussehen, dass du sagst, es war ein erfolgreicher?

Wirklich erfolgreich war es dann, wenn alle Beteiligten ihren Spaß gehabt haben, und ich weiß, dass die Eltern und vor allem das Kind was mitnehmen konnten. Die allerschönsten Momente sind natürlich, wenn ein Kind zum allerersten Mal gesprochen hat – das sind dann die herausragendsten Momente.

Denkst du, dass in der Öffentlichkeit ein falsches Bild von Autismus herrscht?

Es gibt viele verschiedene falsche Bilder von Autismus in der Öffentlichkeit. Viele Menschen unterschätzen die Kinder. Das ist eine meiner ganz klaren Aufgaben, aufzuzeigen was das Kind alles kann. Ganz viele Kinder und Jugendliche mit Autismus sind auch Meister im Verbergen, wozu sie fähig sind. Das ist, was meinen Job ausmacht – die Kinder mit ganz viel Spaß zu motivieren und auch mit Konsequenz einzufordern, dass sie meinen Aufforderungen nachkommen. So merkt man erst wirklich, was die Kinder alles können und was im Verborgenen steckt. Das andere ist, dass Autisten auch oft überschätzt werden und man sagt „Ah, das sind die mit den Inselbegabungen.“ (Anm. Redaktion: Begabung in einem speziellen Interessensgebiet) Aber das kann man auch nicht generalisieren. Ein geringer Prozentsatz der Menschen hat eine solche Inselbegabung. Man muss da einen Mittelweg finden, die Leute nicht unterschätzen, aber auch nicht glauben, dass jeder Autist ein Supergenie ist.

 

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