Interview: Patrick Danter

Ob Gehörlose, Gefängnisinsassen oder Jugendliche – politische Bildung kennt keine einzelne Zielgruppe, denn sie geht uns alle etwas an. Das findet zumindest Patrick Danter, der es sich mit dem Verein Sapere Aude zur Aufgabe gemacht hat, Menschen die Instrumente zum kritischen Denken, Hinterfragen und Verstehen von Politik in die Hand zu geben.

Wenn Patrick Danter über politische Bildung spricht, klingt kein Satz unbedacht. „Sapere Aude – habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“, ist dabei sein Motto. Anderen dabei zu helfen, mit Mut und Verstand an der Gesellschaft teilzuhaben – das ist Dreh- und Angelpunkt seiner täglichen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.

Kommendes Jahr feiert ihr euer 10-jähriges Jubiläum! Wenn wir zum Anfang zurückgehen: Wann und warum wurde Sapere Aude gegründet?

Unseren Verein gibt es seit dem Jahr 2009. Die Idee gab es eigentlich schon 2008, denn da ist in Österreich etwas ganz Wichtiges passiert: Man hat das Wahlalter gesenkt! Das war eine große Diskussion und der Verein hat sich als Privatinitiative gegründet, weil Magdalena Wagner, die damalige Obfrau, eine schlaflose Nacht gehabt hat, da durch die Medien gegeistert ist: Wenn Jugendliche das Wahlrecht bekommen, wird es furchtbar! Halb Österreich wird zusammenbrechen und die Demokratie wird in den Grundfesten erschüttert. Das ist natürlich eine Übertreibung (lächelt). Die mediale Rezeption war jedenfalls sehr kritisch. Magdalena hat sich gedacht – was ich immer noch einen sehr schönen Gedanken finde, der uns auch heute noch trägt – dass es nicht nur in der Verantwortung junger Menschen liegt, dass sie sich für Politik interessieren, sondern dass es eine gesellschaftliche Notwendigkeit ist, deren Interessen zu wecken und ihnen professionelle Angebote zur Verfügung zu stellen, damit sie sich mit der Gesellschaft beschäftigen können. Wir wollten so ein professionelles pädagogisches Angebot für alle Jugendlichen schaffen und in weiterer Folge für alle anderen Menschen auch. Wir wollten und wollen weiterhin Menschen zur Freiheit und zum kritischen Denken anregen, damit sie die Welt um sie herum besser begreifen können. Und weil die Welt und die Politik nie fertig sind – es passiert ja immer irgendetwas – braucht es einen gesellschaftlichen und demokratischen Reflexionsraum. Den wollen wir bieten.

Ihr verfolgt in eurer Arbeit einen sehr ganzheitlichen Ansatz und sprecht verschiedenste Zielgruppen an. Wieso habt ihr euch dazu entschlossen?

Das hat mit unserem Politikverständnis zu tun: Es gibt bei uns eine Methode, wo wir sagen: Schreibt bitte alles auf, was in eurem Leben nichts mit Politik zu tun hat! Dann kommen je nach Zielgruppe Schlagworte wie: Eisschlecker, Fortgehen oder Rauchen. In einem zweiten Schritt sieht man sich an, was die verschiedenen Gruppen aufgeschrieben haben. Dann lässt man die Leute noch einmal gut nachdenken und am Ende nur alle Schlagworte an der Tafel stehen, bei denen sich alle ganz sicher sind, dass sie nichts mit Politik zu tun haben. Und da haben wir den pädagogischen „Trick“ versteckt: Denn dann kommen schon die ersten Widersprüche und die Gruppe kommt drauf: Hey, beim Billa-Eisschlecker: „Wer kriegt denn eigentlich das Geld vom Verkauf? Bekommt der Supermarkt das ganze Geld?“ Dann kommt die Gruppe zum Thema Steuern und wir fragen: „Wo gehen denn die Steuern hin? Wie ist das mit dem Fortgehen? Dürft ihr Jugendlichen solange draußen bleiben, wie ihr wollt, und jedes Getränk trinken?“ Dann kommt man drauf, es gibt Gesetze, und am Ende sieht man dann, dass ganz viel von dem, wo man sich gedacht hat, dass es total unpolitisch ist, direkt oder indirekt doch etwas mit Politik zu tun hat. Und das ist unser Ansatz: Wir sagen, dass Politik nichts anderes ist als die Art, wie wir unser Zusammenleben regeln. Politikerinnen und Politiker haben dabei zwar eine Superkraft – sie können Gesetze erlassen. Aber wenn ich mir in der Schule ausmache zwischen Schülerinnen und Schülern und den Lehrkräften, wie das ist mit der Hausschlapfenpflicht, dann macht man auch nichts anderes als das Zusammenleben zu regeln. Da macht man also nichts anderes als die Politik es im Großen tut. Am Ende sagen wir immer den schönen Satz: Ich kann sagen, Politik interessiert mich nicht, aber was ich nicht sagen kann, ist: Politik geht mein Leben nichts an. Ob alles politisch ” ist, darüber kann man streiten. Aber es kann alles politisch werden. Deswegen geht uns Politik alle was an, ob wir wollen oder nicht.

Ihr macht Workshops an Schulen. Wie ist die Reaktion der Schülerinnen und Schüler auf das Thema politische Bildung?

Was ich am häufigsten höre, ist: „Das hätten wir uns aber ganz anders vorgestellt, als wir gehört haben, wir machen politische Bildung.“ Ich hab noch nie von einer Gruppe, mit der wir längerfristig gearbeitet haben, gehört, dass es fad ist. Weil es über kurz oder lang ein gesellschaftliches Thema gibt, das einen interessiert! Bei uns gibt es die große Herausforderung, dass wir extern sind und nicht wissen, wie eine Gruppe gerade tickt. Darum ist es für uns ganz wichtig, dass wir eine Gruppe zweimal sehen. Da wissen wir dann noch besser, wie die Leute drauf sind, und der zweite Termin ist in der Regel noch besser als der erste, weil wir wissen, was wir den Einzelnen zumuten können, und wo ihre Interessen sind. Das ist der Vor- und Nachteil, dass wir eine Gruppe nicht dauerhaft, dafür aber viele unterschiedliche Gruppen haben. Man sieht und lernt pädagogisch unglaublich viel. Und es kann auch sehr hilfreich sein, wenn man Externer ist, weil man unbelasteter über Sachen reden kann und es keinen Notendruck dahinter gibt. Deshalb gibt es bei uns auch die Las-Vegas-Regel: Alles was bei uns im Raum oder Klassenzimmer passiert, bleibt bei uns, man darf alles sagen und es gibt nur ein allgemeines Feedback an die zuständigen Pädagoginnen und Pädagogen.

Ist es heutzutage notwendiger, über politische Bildung zu sprechen beziehungsweise das politische Denken anzuregen?

So lange politische Bildung keinen fixen Platz in der Gesellschaft hat und nicht jeder weiß, dass es wichtig ist, dass man sich damit beschäftigt, ist die Wichtigkeit auf jeden Fall immer gegeben. Die politische Auseinandersetzung ist außerdem eine emotionale geworden, die auch digital stattfindet. Die positive Grundhaltung zur Demokratie an sich wird stetig geringer und auch der Glauben an anerkannte Fakten wird weniger. Ich meine damit reine Fakten, belegbare und eigentlich leicht überprüfbare Tatsachen, so etwas wird umstrittener. Insofern sind es heutzutage andere Herausforderungen, die mit der Technik und den gesellschaftlichen Veränderungen zu tun haben, die uns beschäftigen.

Frustriert oder motiviert es dich, dass es, wie du sagst, ein abnehmendes politisches Bewusstsein in der Gesellschaft gibt?

Ich weiß nicht, ob es weniger politisches Bewusstsein gibt, es gibt jedenfalls mehr Emotion und Ärger. Und wo Ärger ist, da ist auch Antrieb. Wir merken das bei den Workshops, die schwierigsten Gruppen sind die, denen es egal ist. Mit denen kann man schlechter arbeiten. Wo Wut, Zorn oder Freude sind, da ist eine gewisse Energie, mit der man arbeiten kann. Politische Bildung ist außerdem kein Begriff, wo breite Bevölkerungsschichten ein Grundverständnis haben, was das eigentlich ist. Aber es ist auch ein sperriges Wort. Man könnte auch Demokratiebildung oder Friedenserziehung sagen – aber im Begriff politische Bildung ist einfach viel drinnen. Ich erkläre auch verschiedenen Leuten auf unterschiedliche Art, was ich mache, und versuche dann immer, den Rezipienten damit zumindest ein bisschen zu kriegen (lacht).

Worin siehst du die Gefahr, wenn es ein Defizit bei politischer Bildung gibt?

Grundsätzlich gibt es eine Tendenz, die wahrscheinlich mit einer digitalen Umgebung zu tun hat, dass man weniger fähig wird, mit Menschen, die anders ticken, vernünftig zu reden. Wenn Leute nicht mehr vernünftig miteinander reden, dann ist ein Eskalationspotenzial gegeben. Und wenn wir nicht mehr abchecken, dass es sowas braucht wie eine gemeinsame Öffentlichkeit, wo Sachen außer Streit gestellt werden, dann wird eine Demokratie sehr wahrscheinlich große Probleme haben. Wenn dieser öffentliche Raum – und politische Bildung will solchen Raum für Diskussion schaffen – wegbricht, und man die Fähigkeit verliert, miteinander zu reden, dann ist das im leichtesten Fall der Weg zu mehr politischem Extremismus auf allen Seiten, im schlimmsten ein Mehr an Gewalt in der Gesellschaft. Und zwar in einem Ausmaß, das wir uns nicht vorstellen wollen! Allerdings gibt es schon seit Jahrhunderten in der Öffentlichkeit die Tendenz zu sagen: Oh Gott, wir eskalieren – und es gibt die neue Katastrophe. Aber ich bin grundsätzlich ein Optimist und tendiere im Zweifel dazu zu sagen: Alles wird gut!

Mehr Infos auf: www.sapereaude.at

 

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