Schülerinnen und Schülern eine Plattform bieten, um einander beim Lernen zu helfen. Das ist das Ziel von talentify. Dabei werden die Jugendlichen durch Workshops, Beratung und Zusatzangebote dabei unterstützt, ihre Talente zu entdecken und zu entfalten. Der Mann hinter der Idee? Bernhard Hofer.
Wenn Bernhard Hofer über sein Unternehmen und dessen Anfänge spricht, verrät schon sein Akzent, dass er nicht immer in Wien gelebt hat. Die Idee zu talentify hatte er bereits in seiner Schulzeit in Innsbruck. Trotzdem mussten mehr als zehn Jahre vergehen, bis er seine Idee in die Tat umgesetzt hat. Für ein konkretes Problem eine Lösung zu finden, war damals sein Antrieb. Denn als seine Klasse immer kleiner wurde, stellte er fest: Es scheint für viele Schülerinnen und Schüler die passende Lernunterstützung zu fehlen.
Was habt ihr damals konkret gemacht, um anderen Schülern zu helfen?
Wir haben eine Art Buddyprojekt gestartet, wo wir als ältere Schüler die Erstklässler an der Schule willkommen geheißen und ihnen die Schule gezeigt haben und für den Rest der Schulzeit als Lernhilfe für sie da waren. Wir haben nach drei Jahren dann die Drop-out Rate um über 50% reduzieren können. Da habe ich schon in jungen Jahren gesehen, dass, wenn man etwas macht, etwas verändern kann. 2013 haben wir dann talentify gegründet, das im Kern immer noch dasselbe Ziel hat: Es geht darum, das Miteinander zwischen Schülerinnen und Schülern zu fördern und Schulen dabei zu begleiten, ein Peer-Lernsystem aufzubauen. Es gibt so viele junge Leute, die sehr gut in der Schule sind und ihr Wissen gerne weitergeben. Auf der anderen Seite sind jene, die sonst keinen Zugang zur Lernhilfe haben – diese beiden Enden verbinden wir miteinander.
Von deiner ersten Idee bis zur Gründung sind zehn Jahre vergangen. Wieso hast du es dann durchgezogen?
Die Gründung war eine Kombination mehrerer Faktoren. Einerseits aus dem Frust heraus, dass ich davor in meinem Arbeitsleben eigentlich nie etwas gemacht habe, bei dem ich wirklich tiefergehend einen Sinn gesehen habe. Natürlich hat man coole Sachen und Projekte gemacht, aber es war nicht so, dass ich mir gesagt habe, das ist etwas, wo ich wirklich etwas bewegt habe. Der zweite Punkt war, dass für mich Bildung einfach immer schon ein wichtiges Thema war. Aus dieser Kombination heraus sind wir gestartet. Meine Frau und ich haben gesagt: Wir probieren es und schauen, was passiert. Da war nie ein Masterplan dahinter, dass es jetzt das ist, was es heute ist. Es hat sich laufend geändert, die Grundidee ist dabei immer dieselbe geblieben, aber der Weg, wie wir es machen, hat sich weiterentwickelt. Ich war nie ein Fan vom Schreiben von Businessplänen – ich weiß, dass sich Dinge sehr schnell ändern und man auf vieles während des Prozesses draufkommt. Manchmal waren wir vielleicht zu sprunghaft, aber am Ende des Tages hat uns die Offenheit sehr geholfen, Dinge schnell anzupassen und weiterzuentwickeln.
Bei talentify helfen Schülerinnen und Schüler einander – wie kam es zu dem Ansatz?
Wir haben von Anfang an gesagt, wir gehen in den Bildungsbereich mit der Motivation, etwas zu machen, wo es um Jugendliche geht. Wir wollen etwas mit Jugendlichen und für Jugendliche machen. Die zweite Motivation war ein ganz einfaches Grundprinzip des Lernens: Jemand hat etwas gelernt und gibt es jemandem anderen weiter. Durch diesen Prozess des Weitergebens lerne ich selber wieder. Das kann man als Peer-toPeer-Lernen bezeichnen oder als soziales Lernen. Das Grundprinzip dabei ist, dass die Person, die jemandem anderen etwas beibringt, profitiert, indem sie ihr Wissen vertieft. Wenn ein älterer Schüler mit einem jüngeren lernt, bekommt derjenige, der Hilfe sucht, das Wissen auf eine andere Weise erklärt, nämlich von jemandem, der ungefähr gleich alt ist und dieselbe Sprache spricht. Es ist einfach eine andere Lernsituation und der Stresspegel ist beim Peer-to-Peer-Lernen um 50% niedriger als beim klassischen Lernen. Das Schönste für uns ist, dass talentify Jugendliche empowert, die Lernsituation umzudrehen und einen Lernenden zum Lehrenden zu machen, und wir Schulen, Schülerinnen, Schüler und Eltern dabei begleiten. Dort, wo es funktioniert, entstehen unglaublich schöne Situationen.
Ihr habt eurer Angebot neben der Nachhilfevermittlung auch um den Aspekt Arbeit erweitert, wieso?
Mit der Zeit haben wir festgestellt, dass nur zu lernen und durch die Schule zu kommen zu kurz gegriffen ist. Es ist zwar die Grundlage für das Leben eines jungen Menschen, der wichtige Schritt kommt aber ab dem Zeitpunkt, wo ich die Schule verlasse. So haben wir gesehen, dass wir nicht nur schauen müssen, dass wir beim Lernen unterstützen, sondern helfen herauszufinden, wo die Talente und Stärken der Jugendlichen liegen, um ihnen Perspektiven und Möglichkeiten aufzuzeigen, was sie nach der Schule machen können. Egal, ob das eine Lehre oder eine weiterführende Ausbildung ist.
Warum habt ihr mit euren Angeboten einen sehr ganzheitlichen Ansatz gewählt?
Das ist ein bisschen Fluch und Segen. Es ist sehr fordernd. Wir haben aber von Anfang an die Entscheidung getroffen, dass wir probieren, den Kreislauf zu schließen und die jungen Menschen durch die Schule bis hin zum ersten Job zu begleiten. Wir haben von Anfang an das Gefühl gehabt, es braucht eine ganzheitliche Lösung. Denn es gibt zu viele Einzellösungen im Bildungsbereich. So war von Anfang an klar, dass unser Projekt auch talentify heißt, weil es darum geht, die Talente zu stärken. Dieser große Spannungsbogen macht es im Operativen nicht einfacher (lacht)!
Was motiviert dich in deiner täglichen Arbeit?
Was mich persönlich immer motiviert, ist, in Kontakt mit Menschen zu sein, viel an Schulen zu sein und zu sehen, wie viel Positives über Bildung passieren kann. Das ist unglaublich, was motivierte Pädagoginnen und Pädagogen oder ganze Schulen für tolle Arbeit leisten. Es gibt einem unglaublich viel Energie. Gerade die Arbeit mit Jugendlichen. Ich sag immer: Es gibt keinen schöneren Beruf als Lehrerin oder Lehrer zu sein, weil man unglaublich viele Menschen positiv begleiten kann. Der zweite Aspekt, der mich motiviert, kommt eher aus dem Frust heraus, zu beobachten, wie wenig im Bildungsbereich in Österreich weitergeht und weitergegangen ist in den letzten Jahrzehnten. Teilweise aus Absurditäten heraus. Das ist traurig, aber auch ein unheimlicher Motivator, mich nicht in den Kanon einzureihen, dass ich nur schimpfe und sage, wie schlecht alles ist, sondern da etwas zu tun mit den Mitteln, die wir haben. Da kann ich in ein paar Jahren dann hoffentlich zurückblicken und sagen: Ob es funktioniert hat oder nicht, ist egal, aber wir haben zumindest probiert, in der Zeit aktiv etwas zu tun und nicht nur auf System oder Lehrerinnen und Lehrer zu schimpfen.
Hand aufs Herz – wie müsste deiner Meinung nach denn das ideale Bildungssystem aussehen?
Wir müssen aufhören, uns in den Vordergrund zu stellen, und die in den Vordergrund rücken, für die Bildung gedacht ist, nämlich die Jungen und die nächste Generation. Da müssen wir uns kritisch fragen, ob das System, durch das wir die junge Generation durchschicken, ein System ist, das sie für ein Leben in fünfzehn bis zwanzig Jahren vorbereitet. Die Frage kann man nur mit ‚Nein‘ beantworten. Da würde ich mir wünschen, dass wir uns und unsere Ideologien alle ein bisschen rausnehmen und fragen: Was muss Schule im 21. Jahrhundert können, damit ein junger Mensch dann nach dreizehn, fünfzehn Jahren rausgeht und teilhaben kann an der Welt und ein sinnerfülltes Leben führen kann? Da ist es in der Welt von heute nun mal so, dass ich vom Bildungsniveau in einem globalen Wettbewerb bin und das Wissen und die Werkzeuge benötige, um mitspielen zu können. Die Welt entwickelt sich rasend und wir in Österreich leben in einer Blase weiter und glauben, dass wir mit einem System, das das letzte Mal in den 70ern grundlegend reformiert wurde, mit Inhalten, die teilweise eigentlich schon über hundert Jahre alt sind, mithalten können (lacht). Ich würde mir wünschen, dass wir die Kinder und Jugendlichen in den Vordergrund stellen, ihnen das Wissen und die Werkzeuge mitgeben, um den Scherbenhaufen, den sie von uns erben, hoffentlich wieder reparieren und hinbiegen zu können.
Verspürst du Druck, das Bildungssystem oder die Gesellschaft zu ändern?
Das habe ich mir abgewöhnt. Am Anfang waren wir missionarisch unterwegs, aber am Ende des Tages frustriert es einen nur, wenn man sieht, dass nichts weitergeht. Die Herausforderung ist, dass man so nichts bewirken kann – vor allem nicht kurzfristig. Es geht nicht darum, Druck aufzubauen und sich selbst Druck zu machen, etwas zu verändern, weil das als Einzelperson nicht geht. Schauen wir, dass wir einen gemeinsamen Punkt finden, das Ideologische rauszunehmen und zu erkennen, was die wichtigen Themen sind, und uns darauf zu einigen und Dinge umzusetzen, die für die Schülerinnen und Schüler im Klassenraum positiv sind. Das haben wir zurzeit nicht, denn alle Reformen, die in den letzten Jahren passiert sind, haben zu einer Verschlechterung für die Jugendlichen beigetragen. Auch wenn es teilweise sinnvolle Dinge auf dem Papier waren, hat es aber vieles für das System, für die Schulen und die Lehrerinnen und Lehrer im operativen Tun so viel schwerer gemacht und das wirkt sich dann wieder negativ auf die Schüler aus. Deswegen bin ich wieder weggegangen von dem Rausschreien und in die Presse gehen und zu sagen: Das ist das perfekte Bildungssystem! Wir wollen probieren, eher im Hintergrund eins zu eins mit den Personen, zu denen wir einen Zugang haben, zu reden: Steter Tropfen höhlt den Stein. Die Ärmsten, auf die immer hingehaut wird, sind die Pädagoginnen und Pädagogen. Sie sind gut ausgebildet, vielleicht nicht optimal, aber fundiert, und kommen in ein System, wo sie zwischen den Stühlen sitzen, wo sie durch das Administrative aufgerieben werden. Da tun sich sogar die Motiviertesten schwer das Energielevel zu halten. Das ist traurig und die Leidtragenden am Ende vom Tag sind die Kinder. Und das ist schade. Das in einer Zeit und einer Welt, wo man nicht einmal etwas Neues erfinden muss. Es gibt so viele Beispiele, wie Schule heutzutage aussehen kann. Ich brauche nur nach außen zu schauen und mir tolle Schulbeispiele – auch in Österreich – anzusehen. Man muss nur das, was funktioniert, an die richtigen Orte bringen. Im Bildungssystem wäre das eine einfache Lösung. Das würde aber nur gehen, wenn ich eine ideologiebefreite, auf das Wohl von Jugendlichen fokussierte pragmatische Politik hätte – und die haben wir leider nicht! Da ist vieles ins Stocken geraten und das ist für alle Beteiligten unglaublich frustrierend. Das, was wir mit talentify machen wollen, ist zu zeigen, dass es um junge Menschen geht, dass alles, was an der Schule im Bereich der Bildung ist, zielgerichtet sein muss: Bringt es den Jugendlichen etwas, hilft es ihnen, geschieht es auf eine Art und Weise, die sie heranreifen lässt? So, wie es die Bundesverfassung so schön sagt: Schule soll der gesamten Bevölkerung, unabhängig von Herkunft, sozialer Lage und finanziellem Hintergrund ein höchstmögliches Bildungsniveau sichern – also Chancengleichheit garantieren und helfen das zu erreichen, was individuell Sinn macht. Ich finde es ja schade, wenn Menschen glauben – und so ist unser Bildungssystem ja grundlegend ausgelegt: Es muss möglichst jeder studieren. Das ist ja vollkommen absurd. Jedes Kind muss die gleichen Chancen und Möglichkeiten durch Bildung haben, egal ob Studium, Lehre oder sonstige qualifizierte (Aus-)Bildung. Das zweite Schöne, was unsere Bundesverfassung sagt, ist, dass der Sinn der Schule liegt darin, die Schülerinnen und Schüler zu ermächtigen, am Kulturund Wirtschaftsleben in Österreich, Europa und der Welt teilzuhaben, also leben zu können. Deswegen sage ich in letzter Zeit so oft – weil es so schön formuliert ist – man muss nur in die Verfassung schauen. Wenn ich jemanden finden würde, den ich anzeigen könnte, würde ich ihn vor den Verfassungsgerichtshof schleppen und sagen: Nun erkläre mir, ob das, was wir mit den Kindern machen, der Bundesverfassung entspricht! Das bezweifle ich nämlich. Daher sollte es unser aller Aufgabe sein, für die nächste Generation dieses hehre Ziel wieder zu erreichen.
Mehr Infos gibt es auf: https://www.talentify.me/