Portrait: Kathrin Limpel & Ina Pervan Al-Soqauer

Die NGO Fremde werden Freunde in Wien bemüht sich um die Vernetzung von Menschen mit unterschiedlichen Herkünften. Wie das funktioniert, was es damit genau auf sich hat und welche Ziele hinter dem Vorhaben stehen, wissen die beiden Gründerinnen Kathrin Limpel und Ina Pervan Al-Soqauer.

Zwischen hohen Flügeltüren und hellen Wänden stehen Ina Pervan Al-Soqauer und Kathrin Limpel im Eingangsbereich ihres Büros. Durch die doppelten Fenster wirft die Sonne ihr Licht auf den weitläufigen Parkettboden. „Wir sind ganz neu hier“, strahlen sie und das merkt man. Noch kitzelt der Geruch von frischen Möbeln in der Nase, hier und da lehnt ein Verpackungskarton an der Wand. Auf weißen Tischen stehen Laptops. Hier arbeiten Kathrin Limpel und Ina Pervan Al-Soqauer. Sie sind die Gründerinnen und Geschäftsführerinnen von Fremde werden Freunde.

Bei Fremde werden Freunde geht es genau darum, dass Fremde Freunde werden. „Der Name besteht nicht nur einfach so“, lacht Kathrin Limpel, die nun am großen, runden Tisch im Besprechungszimmer sitzt. „Jeder, der in Österreich lebt, weiß, wie wichtig ein Netzwerk ist. Dass ich jemanden kenne und Dinge nachfragen kann. Oder auch einfach Freundschaften habe“, sagt sie und legt ihre Hände auf den Tisch. Fremde werden Freunde ist eine Initiative zur gesellschaftlichen Inklusion. Das bedeutet, dass hier Kontaktpunkte geformt werden. Aktivitäten, an denen Menschen mit verschiedenen Hintergründen in einen Austausch kommen. „Zur Inklusion gehören immer beide Seiten“, erklärt Ina Pervan Al-Soqauer, die neben ihrer Kollegin auf einem der gelben Sessel Platz genommen hat. „Dazu gehört, dass Menschen Wege finden, in die Gesellschaft zu kommen. Und dazu gehört auch, dass die Gesellschaft etwas dafür tut, dass das ermöglicht wird“, ergänzt sie und Kathrin Limpel nickt.

„Es geht nicht darum zu sagen, die einen sind die Benachteiligten und die anderen die Besseren. Vielleicht ist jemand in einem Bereich benachteiligt. In einem anderen dafür vielleicht nicht.“

Deshalb geht es bei Fremde werden Freunde um Vernetzung. Nicht um vorgeformte Integrationsziele für geflüchtete Menschen, nicht um Verpflichtungen ehrenamtlich mitarbeitender Personen und schon gar nicht um die Injektion eines Hilfsprojektes, in dem bestimmte Menschen als hilfsbedürftig betrachtet werden. „Unser Menschenbild ist die Augenhöhe“, erklärt Ina Pervan Al-Soqauer, die zuvor an der Wirtschaftsuniversität gearbeitet hat. „Es geht nicht darum zu sagen, die einen sind die Benachteiligten und die anderen die Besseren. Vielleicht ist jemand in einem Bereich benachteiligt. In einem anderen dafür vielleicht nicht.“

Um für gesellschaftliche Teilhabe zu sorgen, ermöglicht Fremde werden Freunde Aktivitäten. Die entstehen vor allem basierend auf den Wünschen, die die Teilnehmer:innen an die Gründerinnen herantragen. Vorausgeplant wird da nichts. „Jeder Mensch hat eine Kompetenz oder irgendwas, das ihm Freude macht und das er gerne auch anbieten würde. Das machen wir dann möglich“, sagt Kathrin Limpel. „Zu Beginn haben ein paar Leute gesagt, sie würden gerne Schach spielen. Also haben wir gesagt ‚Super, wir machen die Kommunikation und schauen, dass wir Schachbretter und einen Raum bekommen’“, erinnert sich Kathrin Limpel zurück. Das Schachspielen war ein voller Erfolg. Die Aktivität läuft bis heute und ist somit das kontinuierlichste Programm, das der Verein rund um Ina Pervan Al-Soqauer und Kathrin Limpel anbietet.

Neben der Kontinuität von erfolgreichen Programmen sind es nämlich vor allem die Werte Flexibilität und Adaptabilität, die den beiden Frauen, die bereits für ihr humanitäres Engagement ausgezeichnet wurden, wichtig sind. „Wir bieten z.B. schon lange keine Deutschkurse mehr an“, erzählt Kathrin Limpel. Das liegt daran, dass die Menschen, die in den letzten Jahren nach Österreich gekommen sind, heute Deutsch können. Außerdem arbeiten sie jetzt und haben am Vormittag meistens keine Zeit, erzählen die Geschäftsführerinnen. „Da muss sich das Engagement natürlich auch immer irgendwie verändern“, hält Kathrin Limpel fest. Deswegen finden heute stattdessen Bewerbungstrainings statt. Die sind nämlich gefragter. Aber auch zu anderen Aktivitäten wie Wanderungen, Tischtennis oder Erzählcafés wird regelmäßig eingeladen. Ausgeschrieben werden diese Aktivitäten vor allem auf der Facebookseite des Vereins – damit auch jeder teilnehmen kann, der Interesse hat. Ganz unabhängig von seiner Herkunft.

Neben Programmen zur Vernetzung von Menschen betreibt Fremde werden Freunde aktuell ein Mentoring Projekt, in dem geflüchtete Studierende von bereits länger studierenden Personen begleitet werden. Außerdem wird in einem internationalen Projekt geforscht und im Wiener Museumsquartier findet zeitgleich in Kooperation mit der Künstlerin Deborah Sengl ein Escape Room statt. Alles zum Thema Flucht, versteht sich. Auch mit Organisationen finden immer wieder Zusammenarbeiten statt, mit großen wie dem ORF oder der Caritas oder auch mit kleinen, neuen Initiativen, die Veranstaltungsräume brauchen. Denn Kathrin Limpel und Ina Pervan Al-Soqauer wissen, wie es ist, am Anfang zu stehen.

Copyright: Jolly Schwarz – https://www.facebook.com/JollySchwarzPhotography

Ihren Anfang nimmt die Geschichte von Fremde werden Freunde im Sommer 2015 am Wiener Hauptbahnhof. In dem Jahr, in dem man plötzlich so vielen neu angereisten Menschen ins Gesicht sehen konnte. „2015 war das Thema Flucht so nah, dass ich einfach mal zum Bahnhof gefahren bin“, erinnert sich Kathrin Limpel. Was sie dort sah, berührte sie und weckte ihre Willenskraft. „Man kann dann nicht einfach dasitzen und sagen ‚Boah, ist das arg, jemand muss etwas tun‘“, erzählt die Kommunikations-

expertin von ihren Eindrücken. „Man muss selbst etwas tun.“ Also meldete sie sich als Freiwillige und fand sich schon bald in den Räumen der Kleiderspenden wieder. Ina Pervan Al-Soqauers Zugang zu den Geschehnissen am Wiener Hauptbahnhof rief vor allem persönliche Erinnerungen hervor. „Ich bin 1992 selbst aus Bosnien geflüchtet und hab mich eigentlich immer von dem Thema ferngehalten“, erzählt die Gründerin. Das Fernhalten war einfach, denn bis zu jenem Sommer hat kaum jemand über Fluchthintergründe gesprochen, wie sie sich erinnert. Doch als 2015 die vielen Menschen nach Österreich kamen, war das Verdrängen keine Möglichkeit mehr. „Ich habe das so intensiv erlebt, schon bevor die Menschen in Österreich waren. Da wusste ich einfach, was auch immer da dann an Trauma auftaucht, jetzt muss ich etwas tun“, erinnert sich die Wienerin.

Ganz zufrieden waren die beiden Frauen in ihrem Engagement rund um den Bahnhof aber nicht. „Die Tätigkeiten dort waren wichtige Aufgaben“, sind sich die heutigen Geschäftsführerinnen, die sich damals noch gar nicht kannten, einig. „Aber meine Kompetenzen waren überhaupt nicht richtig eingesetzt. Weil ja, ich kann schon Gewand sortieren, aber eigentlich kann ich noch ganz andere Sachen“, erzählt Kathrin Limpel. Dem schließt sich auch Ina Pervan Al-Soqauer an, die bereits vor dem ereignisreichen Jahr Non-Profit-Organisationen beraten und evaluiert hat. „Ich kannte den Sektor ganz gut und fand diese organisatorischen Geschichten immer total spannend. Also war ich immer mit einem evaluierenden Auge mit dabei“, erinnert sie sich zurück.

Getroffen haben sich die beiden bei einem Vernetzungstreffen, das von der Caritas für jene Menschen organisiert wurde, die auch nach den Erlebnissen am Bahnhof weiterhin Engagement zeigen wollten. Und das wollten auch Ina Pervan Al-Soqauer und Kathrin Limpel. Auf dem Vernetzungstreffen haben die beiden Frauen erkannt, dass sie gleiche Absichten hatten, also entstand schon bald Fremde werden Freunde. So engagieren sie sich bis heute gemeinsam.

„Das waren top junge Leute, die tolle Ausbildungen haben, die sich super engagieren, die dann aber dasitzen und sagen, sie werden manchmal gar nicht eingeladen zum Vorstellungsgespräch. Wegen ihres Namens. Weil sie ein Kopftuch tragen. Weil sie eine dunklere Hautfarbe haben“

„Das hört sich manchmal so einfach an, wie wir das formulieren. Als könnte man einfach eine NGO hinstellen“, lacht Ina Pervan Al-Soqauer über den Anschein der Märchenhaftigkeit der Entstehung. Denn ganz so einfach war es in Wahrheit nicht. Beide Geschäftsführerinnen bringen breite Fächer an Erfahrung und Kompetenz mit, die zum Aufbau eines Betriebes zweifelsfrei notwendig sind. Dazu gehören etwa das Wissen über Organisationsstrukturen, über Projektkonzepte oder über das Verfassen von Anträgen. Und auch heute noch besuchen die beiden laufend Weiterbildungen, um weiterhin vorne dabei zu sein. Gerade haben Kathrin Limpel und Ina Pervan Al-Soqauer ihr Team erweitert. Eine neue Anstellung war geplant. Geworden sind es dann vier. „Wir sind in der Früh mit dem Vorhaben reingekommen, sieben Leute anzuschauen und uns dann für eine Person zu entscheiden. Nur um danach draufzukommen, dass das eigentlich gar nicht geht und anders viel besser funktionieren würde“, lacht Kathrin Limpel und auch ihre Kollegin grinst. „Ich war mir da unsicher, weil ich relativ wenig geschlafen hab und mir gedacht hab, bin ich jetzt übernächtig und mach jetzt so einen Wahnsinn, dass wir einfach statt einer Person vier einstellen“, erinnert sich Ina Pervan Al-Soqauer kopfschüttelnd. Aber auch am nächsten Tag hat es gestimmt. „Das waren top junge Leute, die tolle Ausbildungen haben, die sich super engagieren, die dann aber dasitzen und sagen, sie werden manchmal gar nicht eingeladen zum Vorstellungsgespräch. Wegen ihres Namens. Weil sie ein Kopftuch tragen. Weil sie eine dunklere Hautfarbe haben“, erzählt Kathrin Limpel. Also wurden sie zu Fremde werden Freunde ins Boot geholt. „Wir ändern die Dinge dann einfach schnell. Wir machen uns nicht das Leben schwer, indem wir die Sachen viel zu formal angehen. Wo es dann tausend Dokumente gibt, so ausgearbeitet, dass du sie später gar nicht mehr umwerfen willst. Bei uns geht alles relativ schnell“, sagt Ina Pervan Al-Soqauer und lächelt.

Still steht bei Fremde werden Freunde nichts. Da folgen auf neue Projekte noch neuere, auf alt gewordene Veranstaltungen andere und auf Stellenangebote eben noch mehr davon. Je nachdem, wo sich gerade Bedarf zeigt. Denn nur Jammern bringt ja nichts. Wer mit den Dingen unzufrieden ist, muss selbst anpacken. So wie Ina Pervan Al-Soqauer und Kathrin Limpel, in deren Büro es noch nach Umzug riecht.

Mehr Infos gibt’s auf der Website von Fremde werden Freunde!

Fotocredits: Jolly Schwarz

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