Portrait: Hannah Gasser

Hannah-Isabella Gasser hat die vergangenen zehn Jahre ihres Lebens damit verbracht, Frauen, die  Menschenhandel und häusliche Gewalt erleb(t)en, zu unterstützen. Bei ihrem Verein Footprint können die Betroffenen Deutsch lernen, Yoga machen oder sich einfach auf einen Kaffee miteinander treffen.

Hannah-Isabella Gasser brennt für ihre Arbeit. Ihr Verein unterstützt Frauen in Österreich, die Opfer von häuslicher Gewalt und Menschenhandel geworden sind, und sobald sie anfängt, davon zu erzählen, merkt man sofort, wie wichtig ihr die Arbeit ist. „Gewalt kann alle Frauen gleich treffen. Das ist eine Tatsache, die viele Leute oft nicht hören wollen“, schildert die Vereinsleiterin bestimmt, während sie den Milchkaffee in ihrem Becher behutsam umrührt. „Wir betreuen Frauen aus allen Schichten mit allen Ausbildungen, mit und ohne Migrations- oder Fluchtgeschichte.“

Mit dem unendlichen Häusermeer Wiens im Rücken sitzt Hannah-Isabella Gasser zurückgelehnt im blauen Lehnstuhl in der kuscheligen Beratungsecke des Vereines.  Sie ist eine lebensfrohe und humorvolle Person, die gerne lacht und viel erzählt. Doch sobald sich das Gespräch um ernstere Themen dreht wie etwa die Arbeit ihres Vereines, schlägt ihre Stimmung um und sie wird nachdenklicher. „Das Footprint ist so etwas wie ein Tageszentrum für die Frauen, die von Frauenhandel und/oder häuslicher Gewalt betroffen sind oder waren. Sie können mit all ihren Anliegen zu uns kommen, unabhängig davon, ob sie unsere Rechts- und Sozialberatung in Anspruch nehmen wollen, auf der Suche nach einem Kindergartenplatz sind, Begleitung bei Terminen zu Frauenärzt:innen oder offiziellen Behörden brauchen oder in akuten Notsituationen eine Unterkunft für die Nacht benötigen“, erklärt sie. Bei Footprint können Klientinnen auch ganz alltägliche Angebote in Anspruch nehmen. So können die Frauen, die sich hilfesuchend an den Verein wenden, hier Deutsch lernen, unterschiedliche Sportarten ausüben, Yogakurse oder Kurse in Sexualerziehung und weiblicher Gesundheit besuchen. Das Frauencafé ist das Herz von Footprint. Hier treffen sich die Mitarbeiter:innen und Klientinnen, um sich bei einer Tasse Kaffee und Kuchen zu unterhalten und ihre Erfahrungen miteinander auszutauschen – manchmal in der hinteren Ecke der kleinen Küche, manchmal in der Mitte des großen Bewegungsraumes, wo eine Reihe von Yogamatten an Seilen von der Decke hängt und die großen Fenster einen beeindruckenden Ausblick auf Wien gewähren.

„Footprint soll ein niederschwelliger Wohlfühlort sein, wo alle Frauen einfach nur anwesend sein können“, erzählt Hannah-Isabella Gasser. „Keine Frau muss erklären, warum sie hier ist, oder ihre Geschichte erzählen, wenn sie das nicht tun möchte. Es soll ein Ort sein, wo Mütter ihre Kinder mitnehmen können, anstatt sich Sorgen machen zu müssen, ob sie einen Kindergarten oder eine andere Betreuung für sie finden, um zu Footprint kommen zu können.“ Die bunten Stofftiere, die in den weißen Regalen und Bücherschränken im ganzen Verein zu finden sind, bezeugen das. Im Beratungszimmer liegt eine Babydecke auf dem braunen Fliesenboden und eine mobile Wiege steht daneben. „Hauptsache für uns ist es, dass sich die Frauen hier nehmen können, was sie wirklich brauchen, und sich ein Netzwerk aufbauen, sich anfreunden, gegenseitig unterstützen und ermutigen“, führt die Vereinsleiterin weiter aus. Das ist es, was den Verein so fundamental von anderen Opferschutzeinrichtungen unterscheidet. Denn während das Ziel der meisten bereits etablierten Institutionen darin liegt, die Täter:innen von Menschenhandel und häuslicher Gewalt zu fassen und Betroffene im Prozess zu begleiten, dreht sich bei Footprint alles darum, die Lebensqualität von den Frauen zu  verbessern. Das fühlt man auch. Im Eingangsbereich wird man darauf hingewiesen, die Schuhe auszuziehen, und an den weiß gestrichenen Wänden hängen Bilder, von denen Mitarbeiter:innen und Klientinnen bei Exkursionen und Projekten auf die Betrachter:innen herablächeln. In jeder Ecke stehen hochgewachsene Pflanzen oder Regale mit vielen unterschiedlichen Büchern für Erwachsene und Kinder, deren Titel von Sexualerziehung über Flucht und Frauenrechte bis hin zu Self Care erzählen.

Copyright: Jolly Schwarz – https://www.facebook.com/JollySchwarzPhotography

Hannah-Isabella Gasser fand den Weg zu ihrer heutigen Arbeit über mehrere Umwege. Nachdem sie die Matura abgeschlossen hatte, wollte sie im darauffolgenden Herbst ein Medizinstudium beginnen. Aufgrund ihrer Legasthenie schaffte die heutige Vereinsleiterin jedoch den Aufnahmetest an der Medizinischen Universität Wien nicht. Also entschied sie sich, stattdessen Afrikawissenschaften an der Universität Wien zu studieren. Neben ihrem Studium engagierte sie sich ehrenamtlich in unterschiedlichen Organisationen, die sich mit der Gesundheit und Sicherheit von Frauen mit Migrationsgeschichte befassten. In ihrer Diplomarbeit beschäftigte sie sich mit Frauen, die Opfer von Frauenhandel geworden waren. Anhand von qualitativen Interviews mit den Betroffenen fand sie heraus, welche Mängel im jetzigen System bestehen, und entwickelte mögliche Lösungsansätze. Später nutzte sie die Erkenntnisse, die sie im Rahmen ihrer Arbeit gewinnen konnte, um den ersten Grundstein für Footprint zu legen. „Bei den Interviews konnte ich stark heraushören, was die Frauen brauchen. Sie waren bei der Entstehung von Footprint maßgeblich involviert und haben aktiv mitdiskutiert, wie der Verein weiterentwickelt werden und welches Angebot zur Auswahl stehen sollte“, erläutert sie.

Heute ist der Verein ein Safer Space für seine Klientinnen. Die einzigen Männer, die die Räumlichkeiten von Footprint betreten dürfen, sind die Mitarbeiter. Denn die Sicherheit der Frauen steht hier an vorderster Stelle. Deswegen können  sie mit einem Decknamen zu dem Verein kommen. Das ist auch der Grund, warum Hannah-Isabella Gasser dem Verein seinen heutigen Namen gegeben hat: „Mir war es sehr wichtig, dass es ein neutraler Name ist. Die Frauen können sagen, dass sie zu Footprint gehen, ohne dass es sofort ersichtlich ist, dass es sich hierbei um eine Opferschutzeinrichtung handelt.“ Das ermögliche den Frauen, den Verein auch vor den Partner:innen zu erwähnen, von denen sie missbraucht werden, ohne dass sie dadurch in Gefahr geraten würden. Obwohl die Arbeit mit Frauen, die Erfahrungen mit Menschenhandel und Gewalt gemacht haben und in manchen Fällen sogar noch immer davon betroffen sind, mental belastend und anstrengend ist, schafft es Hannah-Isabella Gasser, sich davon nicht unterkriegen zu lassen. Mehr noch: Sie schöpft Kraft aus ihrer Arbeit und dem, was sie und ihre ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen bewirken können.

„Jedes Schicksal bewegt und berührt mich natürlich. Aber wir sind in der Position, dass wir uns darum kümmern müssen, dass wir handlungsaktiv mit den betroffenen Frauen werden. Die Frauen, die zu uns kommen, wollen etwas an ihrer Situation verändern. Es ist eigentlich sehr schön zu sehen, wie sie sich entwickeln und was für unglaublich starke Persönlichkeiten wir hier haben“, sinniert die Vereinsleiterin mit fester Stimme und einem Lächeln auf den Lippen. „Diese positiven Entwicklungen bei meinen Klientinnen geben mir sehr viel. Wie schlimm die Schicksale unserer Klientinnen auch waren oder sind, es ist einfach schön zu sehen, wie sie sich dann bei uns wohlfühlen und regelrecht aufblühen.“ Ihre Familie und vor allem ihre Tochter, mit der sie viel in der Natur unterwegs ist, helfen ihr dabei, sich zu entspannen und außerhalb des Vereines auf andere Gedanken zu kommen.

„Es tut sich einfach viel zu wenig, obwohl man von den Zuständen dieser Frauen weiß. Es wird einfach in die falschen Dinge investiert und viel zu wenig in die richtigen“

Angetrieben wird die Vereinsleiterin von Wut. Wut auf die  Zustände, in denen sich ihre Klientinnen befinden und die es ihnen oft unmöglich machen, daraus auszubrechen. Wut vor allem auf die Regierung, die laut Hannah-Isabella Gasser viel zu wenig mache, um Frauen, die von Gewalt und Menschenhandel in ihrem Leben betroffen sind, zu unterstützen. „Es tut sich einfach viel zu wenig, obwohl man von den Zuständen dieser Frauen weiß. Es wird einfach in die falschen Dinge investiert und viel zu wenig in die richtigen“, meint die Vereinsleiterin angespannt und erklärt weiter, dass der Verein immer wieder mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen habe, da sie genauso wie ähnliche NGOs nicht genug finanzielle Unterstützung seitens der Regierung bekämen. „Ich wünsche mir, dass es uns nicht mehr geben muss, weil das Problem nicht mehr besteht. Ich bin aber realistisch genug, dass ich weiß, dass das nicht der Fall sein wird.“

Mehr Informationen auf der Website!

Fotocredits: Jolly Schwarz

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