Portrait: Fedaa Alarnoot

Das österreichische Asylverfahren ist beschwerlich und kompliziert – vor allem für geflüchtete LGBTQUIA+ Personen.  Fedaa Alarnoot, Sozialarbeiter bei der Queer Base, hilft ihnen dabei, im System sicher zu navigieren und ihren Platz in Österreich zu finden.

Deutsch lernen, sich ein neues Leben in einem neuen Land aufbauen und gleichzeitig andere Menschen durch das Asylverfahren begleiten. All das bewältigt Fedaa Alarnoot gleichzeitig. Der gebürtige Syrer lebt seit über vier Jahren in Österreich und hilft seitdem als Sozialarbeiter bei der Queer Base Menschen, die vor der fatalen Homo- und Transphobie in ihrer Heimat geflüchtet sind. Der arabischsprachige Sozialarbeiter ist die erste Anlaufstelle für queere Flüchtlinge – größtenteils schwule Cis-Männer – aus arabischsprachigen Ländern. „Es ist wichtig, dass sich unsere Klient:innen sicher fühlen und wissen, dass sie im Asylverfahren offen über ihre Sexualität und Geschlechtsidentität reden können“, erklärt Fedaa Alarnoot. Die Beine locker übereinander geschlagen, die Hände in seinem Schoß ruhend und mit einer bunten Kappe auf seinem Kopf sitzt der Sozialarbeiter gelassen auf dem großen Sofa in der Bibliothek der Türkis Rosa Lila Villa. Das bunt bemalte Haus in der linken Wienzeile inmitten von historischen Altbauten und den kleinen Lokalen am Naschmarkt ist das Zuhause der Queer Base. Im Inneren dekorieren Poster vergangener Veranstaltungen die Wände. Auf jeder Oberfläche lassen sich Sticker, Flyer und Broschüren mit Infomaterial zu unterschiedlichen Aktionen und Themen rund um die LGBTQUIA+ Community finden. Jede Tür im Eingangsbereich trägt eine andere Farbe und führt entweder in den Innenhof, die Büros oder die kleine Bibliothek, wo Fedaa Alarnoot heute die Queer Base vorstellt.

„Es fängt bei den Falschinformationen an. Es gibt so viele Klient:innen, die nicht wissen, wie das Verfahren tatsächlich abläuft und vollkommen falsche Informationen darüber erhalten haben.“

Lässig, souverän und doch immer darauf bedacht, die richtigen Worte zu finden, berichtet  er von den Schwierigkeiten, mit denen queere Flüchtlinge im österreichischen Asylverfahren konfrontiert sind. „Es fängt bei den Falschinformationen an. Es gibt so viele Klient:innen, die nicht wissen, wie das Verfahren tatsächlich abläuft und vollkommen falsche Informationen darüber erhalten haben“, erzählt der Sozialarbeiter. „Manche glauben zum Beispiel, dass sie vor den Behörden Sex haben müssen, um ihre Sexualität zu beweisen, oder dass ihre Sexualität oder Geschlechtsidentität wie ein Stempel in all ihren Dokumenten festgehalten wird.“ Wieder andere vertrauen ihren Dolmetscher:innen nicht, aus Angst, dass diese sie vor ihrer Familie oder gemeinsamen Bekannten gegen ihren Willen outen würden. Oder sie haben vor ihrer Ankunft in Österreich unter dem Druck ihrer Familie geheiratet und werden deswegen in ihrem Asylverfahren weniger ernst genommen. „Wie sollen diese Männer erklären, dass sie eigentlich schwul sind, aber gezwungen waren, eine Frau zu heiraten?“, führt Fedaa Alarnoot weiter aus. „Und was bedeutet es für die Ehefrau und deren Kinder, wenn er es doch tut?“ Noch schwieriger wird es für die Asylsuchenden, wenn die Beamt:innen, die die Asylanträge bearbeiten, selbst homo- oder transphob sind und sich in ihrer Entscheidung von ihren eigenen Vorurteilen leiten lassen.

Deswegen gibt es die Queer Base. „Wenn jemand 25 Jahre lang hört, dass queere Menschen eine Schande sind, dann glaubt die Person irgendwann, dass sie selbst eine Schande ist“, erläutert Fedaa Alarnoot. „Wenn die homo- oder transphobe Verfolgung im Herkunftsland der Grund für den Asylantrag ist, macht es einen großen Unterschied, ob sich der:die Antragsteller:in wohl mit seiner:ihrer Sexualität fühlt oder nicht. Ist er:sie nicht in der Lage, darüber zu sprechen, kann das die Chancen auf einen positiven Asylbescheid verringern.“ Deswegen bietet der Verein geflüchteten queeren Personen nicht nur eine Rechts- und Sozialberatung während des Asylverfahrens an, sondern auch eine Coming-out-Beratung, in der die Klient:innen die internalisierte Homo- oder Transphobie, die sie ihr Leben lang mit sich getragen haben, ablegen und lernen, stolz auf sich selbst zu sein. 

Eine Gemeinschaft von Menschen, die in der gleichen Situation sind oder waren, hilft dabei. Denn viele queere Flüchtlinge befinden sich in Selbstisolation. Sie haben meistens keinen Kontakt zu anderen geflüchteten LGBTQUIA+ Personen und halten sich in den Communitys auf, vor denen sie ursprünglich geflohen sind. „Das macht es ihnen schwer, Freund:innen zu finden, die verstehen können, was sie gerade durchmachen“, führt

Copyright: Jolly Schwarz – https://www.facebook.com/JollySchwarzPhotography

Fedaa Alarnoot weiter aus. Mitten im Asylverfahren und nicht in der Lage, einer Arbeit nachzugehen, müssen sie sich wochen-, monate- oder sogar jahrelang einem Leben des Nichtstuns hingeben. „Es gibt bei uns Klient:innen, die fünf Jahre lang in ihrem Asylverfahren warten müssen und währenddessen nichts zu tun haben. Es macht die Menschen psychisch fertig“, so der Sozialarbeiter. Durch unterschiedliche Aktivitäten wie Grillpartys oder Deutschkurse bringt die Queer Base ihre Klient:innen zusammen und ermöglicht es ihnen, neue Freund:innen und eine neue Community zu finden, in der sie sie selbst sein können. Fedaa Alarnoot teilt mehr mit seinen Klient:innen als nur eine gemeinsame Sprache. Auch er ist ein schwuler Cis-Mann, der in Syrien geboren wurde und seine Heimat verlassen musste, weil er dort aufgrund seiner Sexualität staatlicher Verfolgung ausgesetzt war. Dabei war es die LGBTQUIA+ Community in Syrien, die Fedaa Alarnoot die beschwerliche und harte Flucht aus Damaskus ermöglichte. Es war ein schwuler Mann mit den richtigen Beziehungen, der die nötigen Papiere für den heutigen Sozialarbeiter besorgte, und ein weiterer schwuler Mann, der ihm Unterschlupf bot, bis er das Land verlassen konnte. „Das war das erste Mal, dass ich mitbekam, dass es dort eine Gemeinschaft gibt, die einander hilft und unterstützt“, erzählt Fedaa Alarnoot mit gedämpfter Stimme. Langsam, behutsam, während seine Hände unablässig über seine nackten Arme fahren. Plötzlich ist die lässige Haltung von zuvor verschwunden,  wohl durch das Gewicht der Erinnerungen, die dem jungen Sozialarbeiter deutlich ins Gesicht geschrieben stehen.

In Österreich angekommen stolperte Fedaa Alarnoot 2016 durch Zufall über die Queer Base. Sein Asylverfahren war nach nur zwei Wochen abgeschlossen und er war gerade auf der Suche nach einer Wohnung. „Ich stand damals in Kontakt mit einer Sozialberaterin von der Diakonie, die versuchte, mir zu helfen. Sie wusste, dass meine Homosexualität der Grund für mein Asyl war, und verwies mich an die Queer Base“, erinnert er sich. Wie viele seiner heutigen Klient:innen suchte Fedaa Alarnoot nach einer Unterkunft, in der er seine Sexualität vor seinen möglichen homophoben oder transphoben Mitbewohner:innen weder verstecken noch deswegen in Gefahr geraten würde. Obwohl die Queer Base damals nicht der große Verein war, den man heute kennt, schafften es die Aktivist:innen trotzdem in kürzester Zeit, eine Wohnung für Fedaa Alarnoot zu organisieren. Ich fühlte mich überrumpelt“, erinnert sich Fedaa Alarnoot an jene Zeit. „In Syrien kannte ich eine solche Zivilarbeit von Vereinen nicht. Die Idee, dass eine Gruppe von Menschen jemandem hilft, einfach so, ohne die Erwartung, dafür etwas zurückzubekommen, das fühlte sich gut an und ich wollte auch mithelfen.“ Es war eine Möglichkeit, sich bei jener Gemeinschaft, die ihm so oft geholfen hatte, zu revanchieren. „Ich habe mir gesagt, dass jetzt die Zeit ist, um zurückzugeben. Hier gibt es die Möglichkeit und eine Community, die man unterstützen kann.“

„Ich musste lernen, eine Grenze zu meinen Klient:innen aufzubauen und professioneller in meinen Beziehungen zu ihnen zu sein.“

Fedaa Alarnoots Fluchterfahrungen erleichtern und erschweren seine Arbeit zugleich. Seine Klient:innen vertrauen sich ihm eher an, wenn sie wissen, dass er das Gleiche durchgemacht hat, und der Sozialarbeiter kann sich besser in sie hineinversetzen und ihre Sorgen und Probleme verstehen. Gleichzeitig bringt es aber auch Nachteile: „Als Flüchtling ist die Arbeit oft schwerer für mich als für Menschen, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben. Vor allem am Anfang habe ich deswegen versucht, eine Nähe zu meinen Klient:innen aufzubauen“, verrät der Sozialarbeiter. Mit der Zeit musste er jedoch lernen, dass das nicht gesund für ihn war. Wenn eine:r seiner Klient:innen einen negativen Asylbescheid bekam oder ihm:ihr die Abschiebung drohte, traf es Fedaa Alarnoot umso mehr, nachdem er sich mit ihnen angefreundet hatte. „Ich musste lernen, eine Grenze zu meinen Klient:innen aufzubauen und professioneller in meinen Beziehungen zu ihnen zu sein.“

Wenn die Belastung in der Arbeit zu viel wird, kann er sich auf die emotionale Unterstützung seiner Kolleg:innen verlassen. „Hier im Team unterstützen wir einander. Wir reden miteinander über unsere Probleme, beraten uns gegenseitig und tauschen unsere Erfahrungen aus.“ Reden ist ein wichtiger Bewältigungsmechanismus für Fedaa Alarnoot. Manchmal, wenn niemand anderer da ist, mit dem er reden kann, redet er einfach mit sich selbst. „Ich mache das sehr oft“, gibt der Sozialarbeiter lachend zu. „Das Reden, das hilft manchmal, die schlechten Zeiten zu überleben. Die professionelle Supervision ist gut, aber es gibt immer bestimmte Schritte und Methoden, die man befolgen muss. Wenn ich mit mir selbst rede, kann ich einfach alles rauslassen.“

Doch so schwer und nervenaufreibend die Arbeit bei der Queer Base manchmal sein kann – Fedaa Alarnoot ist glücklich, sie machen zu können. Denn er ist überzeugt: „Unsere Arbeit ist sehr wichtig. Nicht nur für die Menschen, die vor Homo- und Transphobie fliehen, sondern für die ganze Gesellschaft.“

Mehr Infos bei gibt es direkt bei Queerbase! 

Fotocredits: Jolly Schwarz

Leave a Comment

    Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

    Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

    Schließen