Interview: Hannah Lux

In der Schleifmühlgasse kommen Alt und Jung zusammen. Im Generationen-Kaffeehaus Vollpension werden Kuchen & Co nämlich von Senioren und Seniorinnen gebacken. Serviert werden dabei aber nicht nur Mehlspeisen, sondern auch spannende Lebensgeschichten.

Menschen von Herz zu Herz ins Reden zu bringen – das ist Hannah Lux’ Mission. Seit 2015 tut sie das als Geschäftsführerin der Vollpension. Ein Café, mitten im vierten Wiener Gemeindebezirk, mit einem Ziel: Jung und Alt zusammenzubringen. Dass sie den Betrieb mit Herz, Witz und Charme führt, merken wir nicht nur im Gespräch, sondern besonders im Umgang mit den hier arbeitenden „Omas“, wie sie liebevoll bezeichnet werden. 20 Seniorinnen und Senioren schupfen hier mit 20 jüngeren KollegInnen den Laden. Für einen Schmäh oder eine liebevolle Geste ist immer Zeit gewesen. On the record genauso wie off the record.

Wie ist es zur Idee der Vollpension gekommen?

Wir sind vier Gründer und die Vollpension selbst als Idee ist 2012 entstanden. Das war gar nicht meine Idee, sondern die von den Mike Lanner und Moriz Piffl. Sie haben die Vollpension als Pop-up-Projekt gestartet und hatten echt viel Nachfrage – von Kunden, aber auch von Pensionisten. Dann hat es relativ rasch die Vision gegeben, daraus ein Social Business und ein Unternehmen machen zu wollen. Und dafür hat es einen Unternehmer gebraucht, der es führt. Ich habe Mike und Moriz im Impact Hub kennengelernt und hatte Lust, wieder selber etwas zu machen. Ich habe mich mit der Zielgruppe und dem Thema „Alt und Jung in der Stadt“ stark beschäftigt und es hat mich sehr bewegt und berührt. 2014 ist die Vollpension dann auf Tour gegangen mit der „Wien-Tourismus“. Da haben wir einen alten Bus in ein mobiles Kaffeehaus umgebaut und sind durch Österreich getingelt. Das war so mein erster konkreter Kontakt, wo wir uns beschnuppert haben und geschaut haben, ob das was werden könnte. Es war recht schnell klar: Let’s do it. Wir haben dann 2014 die GmbH gegründet, sind auf die Suche nach einer Location gegangen und im Juni 2015 haben wir aufgesperrt. Die Vollpension ist ein total organisch gewachsenes Projekt. Es gab keinen Zeitpunkt, wo wir uns hingesetzt und gesagt haben: Das ist das Problem, das ist der Impact, das ist die Lösung und so kommen wir dahin. Da war kein Business-Modelling, „des hot si guad ang’spürt“. Es war eher so: Geil, der Kuchen von der Oma schmeckt gut, lasst uns einen Ort schaffen, wo man ihn essen kann. Ich glaube auch, dass sehr viel durch ein gutes Bauchgefühl und einer starken Intention für ein Projekt getragen wird. Wir haben uns selber mit der Vollpension ein Stück „Dahoam“ kreiert. Das hilft uns auch, durch viele Ups and Downs durchzugehen.

Wieso ist für dich das Thema „Jung und Alt in der Stadt“ so brisant und wichtig?

Ich komme selber vom Land, so unterschiedlich wir GründerInnen sind, das haben wir alle gemeinsam. Wir sind alle in größeren Familien und am Land in einem Familiengefüge aufgewachsen, wo es normal war, dass Alt und Jung im Daily-Business miteinander agieren, sich austauschen und miteinander leben mussten. In der Stadt gibt es für junge und für alte Menschen wenig Berührungspunkte, wo man sich auf Augenhöhe und authentisch austauscht. Der demographische Wandel ist ja generell ein Thema: Die Menschen werden immer älter, gerade in der Stadt wird das Leben immer schneller und Kommunikationsmuster verändern sich. Ich glaube, gerade für ältere Menschen ist es da oft schwierig „mitzuhalten“. Dadurch wird die Kluft zwischen Alt und Jung größer. Es gibt immer mehr ältere Menschen, die Städte werden immer größer, da werden wir uns als Gesellschaft neu überlegen müssen, wie wir mit älteren Menschen umgehen.

In der Vollpension bekommen die Omas und Opas in der Pension eine sinnvolle Tätigkeit – wieso habt ihr euch für diesen Zugang zum Thema entschieden?

Das war nie die Grundmotivation. Wir wollten nicht einfach nur Arbeitsplätze für SeniorInnen schaffen, sondern einen Ort für Menschen, egal, wie dick oder dünn, schwarz oder weiß, groß oder klein – wir wollen ein „Dahoam“ schaffen ” für die Leute. Wo fühlt man sich mehr daheim und angenommen, so wie man ist, als bei der Oma?! Das ist der Grundgedanke, der die Vollpension trägt. Dann gibt es den Impact, dass wir Arbeitsplätze für SeniorInnen schaffen, wir bringen sie, die alleine leben, wieder mehr in ein soziales Netzwerk und schaffen eine Möglichkeit für sie, besser am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Dieses Arbeiten und die sinnvolle Beschäftigung sind ganz wichtig. Ich bekomme oft die Frage gestellt, wieso wir keine großen Förderungen bekommen oder wieso die Arbeitsplätze der SeniorInnen nicht gefördert sind. Ich glaube, dass das das Projekt um 180 Grad drehen würde. Wenn du bei uns arbeitest, dann bist du Kollege und Mitarbeiter und es wird auch etwas von dir erwartet, das Geld das du im Gegenzug dafür bekommst sind keine Almosen. Die Erwartungen an die Mitarbeiter sind oft sehr unterschiedlich und das macht es nicht einfach, auch in der Kommunikation im Team. Ich kann von einer Oma, die schlecht hört, nicht dasselbe erwarten wie von einer, die 60 und noch total fit ist und ihre 20 Torten raushaut. Aber egal, wer du bist und mit welcher Geschichte und welchen Themen du herkommst, es wird was von dir erwartet – und das halte ich für ganz wichtig. Es ist einfach ein Miteinander auf Augenhöhe und kein „Du bist oam und oid“. Du bist zwar vielleicht alt, aber vielleicht gerade deswegen supercool. Vielleicht hast du auch keine Kohle – aber das interessiert uns auch gar nicht, du bringst was ein. Das ist plakativ, natürlich, der Kuchen – aber der ist nur das Mittel zum Zweck – der ist ein Verbindungselement. Jeder mag Kuchen und über den komme ich ins Gespräch mit der Oma. Oft kommen die Leute aus der klassischen sozialen Arbeit und sagen, dass wir die alten Menschen nur ausnutzen. Am Anfang hat mich das gekränkt und geärgert. Weil das einfach so kurz gedacht ist. Mittlerweile kann ich meistens drüber lachen. Wir kreieren uns da einen gemeinsamen Ort. Ich bin halt in der Rolle der Unternehmerin und Geschäftsführerin und es gibt die Oma, die in der Rolle der Bäckerin da ist und als Gastgeberin. Gemeinsam schaffen wir uns ein Daheim.

Wie kommt ihr zu den Omas, die bei euch ihre Kuchen backen?

Wir haben eine Warteliste von über hundert SeniorInnen, ohne dass wir etwas kommunizieren. Ich hab heute schon mit drei Damen telefoniert, scheinbar waren wir in einer Seniorenzeitung (lacht). Es ist unglaublich, wie groß der Ansturm und der gesellschaftliche Bedarf an Arbeitsplätzen für SeniorInnen ist. Das hätten wir uns nicht erwartet. Natürlich ist es was anderes, ob du als Projekt ein paar Tage funktionierst oder ob es ein stabiler Job ist. Am Anfang war eine unserer größten Ängste, dass wir das mit den Oldies nicht hinbekommen oder es nicht genug ältere Leute gibt, die mit uns arbeiten möchten. Da haben wir noch mit Seniorenclubs kooperiert, aber es hat sich total schnell entwickelt. Mittlerweile hören die Leute von uns in den Medien, auf Facebook oder von der Enkeltochter oder sie gehen am Lokal vorbei. Es läuft jetzt, ohne dass wir zusätzlich etwas machen müssen. Ich fühle mich da auch in der Verantwortung – wir sind eine Stelle, wo ganz viele ältere Leute andocken, wo es auch teilweise schlimme Geschichten gibt, wo du merkst, die sind echt alleine und wissen nicht, wie es die nächsten Jahre weitergehen soll. Da ist so viel verlorenes Potential, wenn diese Menschen keine Möglichkeiten finden sich aktiv in unsere Gesellschaft einzubringen. Da überlegt man sich dann, wie man die Vollpension in seinem Hauptbusiness als Coffeeshop weiter multiplizieren kann, und auf der anderen Seite auch, was man sonst noch so machen kann. Wie kann man Dreh- und Angelpunkt werden für coole Oldies, die aktiv ihr Leben gestalten möchten oder Arbeit suchen? Da gibt es gerade viele Gedanken in die Richtung.

Du hast erwähnt, dass du viele schlimme Lebensgeschichten hörst. Wie gehst du damit um?

Man muss einen Mittelweg finden. Niemand von uns wird die Welt alleine retten. Offensichtlich haben wir einen Punkt getroffen mit der Vollpension – ob gewollt oder ungewollt, ist eine andere Frage – wo es ein Riesenproblem gibt, aber auch einen starken Willen zur positiven Veränderung. Ich probiere immer, eher das Positive zu sehen. Ich habe die Chance, etwas zu gestalten, da versuche ich meinen Fokus darauf zu richten. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, wenn ich mich da auf jedes einzelne Schicksal einlassen würde, könnte ich als Person nicht mehr funktionieren.

Was sind die größten Herausforderungen, wenn Alt und Jung miteinander arbeiten?

Wo Menschen sind, da menschelt’s. Der Gastrobereich ist ein sehr schneller, sehr anstrengender Bereich. Normalerweise ist es so: Du funktionierst entweder nach Schema F oder du funktionierst nicht, dann musst du dir halt einen anderen Job suchen. Das gibt es bei uns nicht. Genau das ist bei uns die Herausforderung – bei uns packt jeder mit an. Es funktioniert nur mit sehr viel Kommunikation, viel Transparenz bezüglich unserer Ziele und wie wir miteinander umgehen. Wir haben das Credo, jeder hat eine zweite Chance verdient – nicht nur die Oldies, sondern auch die Jungen – und das funktioniert meistens ganz gut. Es ist aber natürlich viel anstrengender, weil du eine ganz andere Beziehung zu den Menschen aufbaust. Wir haben eine Person, die 25 Stunden die Woche da ist, die für das Zusammenspiel und die Kommunikation im Team zuständig ist.

War für dich schon immer klar, dass du im sozialen Bereich tätig sein wirst?

Ich habe davor ja im Impact Hub gearbeitet und davor eine kleine NGO gegründet, die sich mit von Frauenhandel Betroffenen beschäftigt. Die Arbeit im Sozialen ist sicherlich das, was mein Herz zum Schlagen bringt. Ich glaub einfach ganz fest daran, dass je stärker und schneller sich die Welt dreht, desto mehr brauchen wir Räume, wo wir authentisch miteinander kommunizieren und von Herz zu Herz ins Tun und ins Reden kommen. Egal woran ich arbeite, dass ist das, was ich schaffen will. Das muss dann gar nicht ein klassisches Sozialprojekt sein – ich halte sehr wenig von diesen Einordnungen – natürlich wirst du zugeordnet, aber am Ende des Tages wollen wir ein Wohnzimmer sein, wo unterschiedliche Menschen respektvoll miteinander umgehen. Um funktionieren und gestalten zu können, braucht es eine Intention, und meine Intention ist es immer, Menschen miteinander in Interaktion zu bringen. Wenn ich das nicht hätte, wüsste ich nicht, wie ich meine Motivation finden würde, in der Früh aufzustehen, weil ich eigentlich ein grundfauler Mensch bin (lacht). Mir geben auch kleine Momente so viel Kraft, dass es sich am Ende total auszahlt weiterzumachen. Meine Grundmotivation ist das Gesellschaftsverändernde und Vorzeigebeispiele und Innovationen zu liefern, die dann Systeme potentiell verändern und drehen.

Was sagst du als Expertin – was können wir jeden Tag tun, damit sich Alt und Jung besser austauschen?

Man muss nur die Augen aufmachen. Ich seh das auch bei mir, seitdem ich die Vollpension mache, dass ich viel offener auf ältere Menschen zugehe, weil ich ein viel besseres Verständnis habe, in welchen Situationen die sich teilweise befinden. Ich rede jetzt einfach mit den Leuten im Bus, beim Billa an der Kassa oder einfach in meinem Grätzl. Ich hab da meine fünf, sechs Oldies, die sehe ich alle paar Tage auf der Straße und nehme mir dann auch die Zeit, um stehenzubleiben und fünf Minuten zu plaudern oder für eine kurze Umarmung. Es wäre eh so einfach, aber wir sind alle so sehr in unserer eigenen Blase und Strudel, da fällt´s oft schwer kurz aufzumachen, um sich in den anderen hineinzuversetzen. Man merkt, wie viel Freude es dem anderen bereitet, und auch mir geht es danach besser. Das wird in einer Welt, wo wir alle immer anonymer werden, zunehmend zum Problem, nämlich für alle Beteiligten. Wir Menschen sind total soziale Wesen.drehen.

Das Interview ist in der ersten Ausgabe von social attitude erschienen.

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