Interview: Teresa Bodner

Tramps, so werden im Englischen Landstreicher und Obdachlose genannt. Hier in Wien heißen sie Supertramps, weil sie nicht über einen vermeintlichen Mangel, sondern ihre Qualitäten, Persönlichkeiten und ihr Wissen definiert werden. Ein Wissen, das die (ehemaligen) Obdachlosen bei Stadtführungen durch Wien an Interessierte weitergeben.

 

Sie führen ihre Gäste an Plätze, die in ihrem Leben auf der Straße eine besondere Rolle gespielt haben, und lassen sie an ihrer Geschichte teilhaben. Teresa Bodner ist seit 2016 die Leiterin von SUPERTRAMPS, erstellt gemeinsam mit den Guides die Touren und ist die gute Seele des Unternehmens.

Was ist das Ziel der SUPERTRAMPS?

SUPERTRAMPS ist ein Verein, der Stadtführungen der ein bisschen anderen Art anbietet. Das sind Touren, die von Obdachlosen selbst konzipiert und geführt werden. Ich sag ganz explizit auch konzipiert, weil die Personen, die diese Touren führen, auch alles selbst erstellt haben. Es wird nicht von uns vorgelegt, was zu erzählen ist, sondern wir setzen uns gemeinsam hin und entwickeln die Tour – ich gebe dabei die nötige Hilfestellung. Es ist wichtig zu verstehen, dass prekäres Wohnen nicht nur bedeutet, auf der Straße zu leben, sondern dass es verschiedene Formen gibt, wie man nicht wohnt, wie es die Menschenrechte vorsehen. Wir versuchen die Bandbreite abzustecken und auch unsere Teilnehmer aufzuklären. Es gibt ja im Themenkomplex Wohnungs- und Obdachlosigkeit verschiedene Zugänge. Bei euch werden die Guides für die Führungen bezahlt.

Wieso hat der Verein SUPERTRAMPS den Zugang über die Arbeit gewählt?

Das Hauptziel des Vereins ist es, Menschen die Möglichkeit zu geben, einer sinnvollen Beschäftigung nachzugehen. Man muss bedenken, unsere Guides leiten bis zu 15 Personen und sind alleine dafür verantwortlich. Pünktlich da zu sein, die Gruppen von A nach B zu bringen – das ist eine große Verantwortung, die man da übernimmt. Wir nennen das Empowerment – Menschen ermächtigen, ihre Talente und Fähigkeiten zur Schau zu stellen. Es gibt viele, die sehr begabt sind, anderen Menschen ihre Geschichten zu erzählen. Unsere Aufgabe ist es, diese zu finden und ihnen den Raum zu geben, sich zu entfalten. Jeder Guide hat etwa einmal in der Woche eine Tour, bekommt eine Aufwandsentschädigung und geht so regelmäßig einer Aufgabe nach.

Wie kommt ihr zu den Guides?

Das ist unterschiedlich – wir versuchen, mit verschiedenen Institutionen zusammenzuarbeiten und es gibt viele, die über uns Bescheid wissen und einfach bei uns vorbeischauen. Was auch immer öfter passiert, ist, dass bereits arbeitende Guides Interessenten mitnehmen. Das hat schon ein paar Mal richtig gut funktioniert, denn der bestehende Guide weiß natürlich Bescheid, was die Anforderungen sind.

Bekommen die zukünftigen Guides eine bestimmte Ausbildung, um ihre Stadtführungen machen zu können?

Es gibt einen Prozess, der hinter der Ausbildung steht. Der erste Punkt ist: Man muss regelmäßig zu unseren wöchentlichen Treffen hier in der VinziRast kommen. Das muss sich der zukünftige Guide ansehen und auch, wie er die Gruppe findet – wir sind schon ein schräger Haufen (lacht). Wenn Interesse besteht, schaue ich dann, ob er oder sie regelmäßig und pünktlich zu unseren Treffen kommt. Der nächste Schritt ist, dass er oder sie sich jede Tour der anderen Guides einmal ansieht, danach setzten wir uns vor eine Wien-Karte und der Guide erzählt seine Geschichte. Da merken wir schnell, welche Plätze passen könnten. Wir arbeiten viel mit Symbolorten, die für etwas stehen, wie beispielsweise ein Möbelhaus, stellvertretend für verschiedene Einkaufshäuser, in denen man sich aufwärmen kann. Wenn wir uns angesehen haben, wo die unterschiedlichen Plätze sein könnten, gehen wir hin und schauen uns unter anderem die Gehzeiten an. Dann entwickelt man gemeinsam die Tour und macht drei Testtouren, die zweite ist mit den Guides und die dritte dann mit unserem Vorstand.

Wie groß ist das Team der Guides?

Es gibt ein Kernteam von drei Personen, die waren von Anfang an dabei. Im Schnitt haben wir fünf Guides. Jede Woche seine Geschichte zu erzählen, ist sehr emotional, das muss man mögen. Manche sehen das ein bisschen als Therapie, manche grenzen sich ab, indem sie nur gewisse Teile ihrer Geschichte erzählen. So ist wirklich jede Tour individuell. Der eine Guide erzählt zum Beispiel von seinem Leben als Nomade, eine andere Tour behandelt Suchterkrankungen und wieder eine andere die Frauenproblematik in der Obdachlosigkeit.

Wie sind die Reaktionen der Menschen, die an den Touren teilnehmen?

Bis jetzt sind die Leute sehr überrascht, wie das Leben auf der Straße auch wirklich aussehen kann. Viele können sich nicht unbedingt vorstellen, was das heißt. Das ist ja auch der Sinn unseres Vereins: zu zeigen – so könnte es aussehen. Hemmschwelle gibt es eher keine, viele freuen sich darüber, sich auszutauschen und auch, wenn sie sehen, wie locker und lustig der Mensch ist. Es steckt schon harte Arbeit dahinter, dass man schaut, die Touren an den Mann oder die Frau zu bringen. Da versuchen wir viel PR und Marketing zu machen.

Haben die SUPERTRAMPS eine bestimmte Zielgruppe, die sie erreichen wollen?

Wir haben viele Schulen und bieten vor der Tour einen Workshop an. Wir haben gemerkt, dass es für Schüler sehr wertvoll ist, sich mehr mit der Thematik auseinanderzusetzen. Da gehe ich in die Schule und wir arbeiten gemeinsam aus: Was bedeutet das Wort Obdachlosigkeit überhaupt? Welche Formen der Obdachlosigkeit gibt es? Wieso wird man überhaupt obdachlos? Was sind da die gängigsten Klischees? Nach dem Workshop geht man gemeinsam auf die Tour. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Schüler, die vorher einen Workshop gemacht haben, ein bisschen offener und interessierter sind und auch mehr mitnehmen können. Immer öfter kommen auch Organisationen und Firmen auf uns zu, die gemeinsam mal etwas anderes erleben möchten. Dann haben wir natürlich auch viele Privatpersonen, die Berührungsängste abbauen wollen oder einfach ihr Grätzl besser kennenlernen wollen. Eine andere Zielgruppe sind natürlich auch Touristen. Wir sind sechs Guides und wir sprechen sechs Sprachen – es ist beeindruckend, was da für Talente versteckt sind. Auf Deutsch und auf Englisch bieten wir die Touren sowieso schon an. Wir hätten aber noch die Möglichkeit, sie auf Französisch, Italienisch, Spanisch und Ungarisch zu führen.

War für dich immer klar, dass du im sozialen Bereich arbeiten möchtest?

Ich hab Non-Profit-Management studiert, da war es für mich immer klar, dass ich in dem Bereich tätig sein werde, das war immer mein Wunsch. Dass ich hier bei SUPERTRAMPS gelandet bin, ist purer Zufall. Ich habe davor bei einer großen NGO und wiederum davor für kleinere Projekte gearbeitet. Über die Jahre ist mir bewusst geworden, dass es zu meinem Charakter eher passt, wenn ich bei etwas Kleinem bin, wo ich weiß, ich kann viel entscheiden und mitwirken. Das gefällt mir sehr gut. Dadurch, dass man so klein und agil ist, kann man auch schnell etwas bewirken. Vielleicht nur im Minirahmen – aber man kann etwas bewirken. Der Bereich der Obdachlosigkeit war für mich neu – das ist vielleicht, finde ich, ein Vorteil, weil ich versuche, die Guides als Menschen zu sehen und nicht als Betroffene, die ein Problem haben. Sie sind bei uns, weil sie ein Talent haben, weil sie was können und ich kann und darf das fördern.

Du hörst sehr viele Einzelschicksale in deinem Arbeitsalltag, ist das für dich eine emotionale Belastung?

Wie schaffst du es, dies zu verarbeiten? Es kann schon belastend sein, aber ich habe die Möglichkeit, selbst Supervision zu machen, wenn ich das Gefühl habe, ich muss mich mit jemandem austauschen. Der Verein SUPERTRAMPS wurde von der Katharina Turnauer Privatstiftung gegründet, welche ein ähnliches Projekt vor Jahren in Prag aufgebaut hat. Ganz viele Erfahrungen, die man dort gemacht hat, hat man nach Wien mitgenommen. Das bedeutet, dass ich von der Stiftung viel Unterstützung bekomme. Wir sind sehr gut vernetzt und tauschen uns regelmäßig mit anderen europäischen Touranbietern, sowie Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe aus. Durch den Austausch entwickelt man sich weiter und profitiert unglaublich voneinander. Ich habe also das Gefühl, dass ich gute Rückendeckung habe, und weiß, an wen ich mich wenden kann, wenn ich Hilfe brauche.

Wie sieht der Kontakt mit den Guides aus – besteht ein enger Austausch in eurem Team?

Wir haben einen sehr engen Austausch. Einmal die Woche treffen wir uns zum Jour Fixe, da werden Dinge besprochen, wie zum Beispiel, wie die Touren gelaufen sind: Welche Teilnehmer waren besonders nett oder lustig oder worüber musste man sich warum ärgern. Es ist für unsere Guides herausfordernd, wenn unsere Teilnehmer Fragen stellen, die zu weit gehen. Da versuchen wir, sie anzulernen, wie man sich am besten abgrenzt, oder zu sagen, dass die Frage zu privat ist. Was unsere Guides natürlich ärgert, ist, wenn Leute nicht zuhören – ist ja logisch (lacht). Wenn man so eine Tour macht, trifft man unterschiedliche Leute, was ja auch das Schöne ist, weil die positiven Begegnungen überwiegen. Dann sprechen wir durch, welche Touren in der kommenden Woche anstehen. Unsere Guides sind sehr einfühlsam und stellen sich auf eine Tour mit Schülern ganz anders ein als auf eine mit einer Firma. Wir machen auch Aktivitäten gemeinsam und feiern Geburtstage. Einmal im Jahr organisieren wir einen Betriebsausflug, wo wir uns für ein paar Tage Auszeit von Wien nehmen. Außerdem tauschen wir uns durch Besuche regelmäßig mit Guides aus anderen Städten aus.

Was kann der Einzelne in seinem Alltag machen, um das Thema Obdachlosigkeit ein wenig zu enttabuisieren?

Das Allerwichtigste ist es, Respekt zu zollen. Einfach vorbeigehen an einer Person und sie anlächeln oder zumindest keinen abwertenden Blick zuwerfen. Man sollte Obdachlosen genauso begegnen wie jedem anderen auch – freundlich und mit einem gewissen Hausverstand. Das ist eigentlich sehr leicht. Man erkennt an, dass er da ist, dass er Teil unserer Gesellschaft ist – das ist das Wichtigste und Einfachste, was man machen kann.

 

Das Interview ist in der ersten Ausgabe von social attitude erschienen.

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