Im dritten Wiener Gemeindebezirk steht ein Verein von Rom:nja für Rom:nja. Seine Angebote sind vielseitig und vor allem notwendig, denn vielen Rom:nja wird der Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe verwehrt. Was im Romano Centro genau passiert, weiß die pädagogische Leiterin Danijela Cicvaric.
An der hellen Wand hinter Danijela Cicvarics Kopf geht es wild zu. Sie ist bedeckt von Plakaten, Fotos und Flugblättern, die um die Aufmerksamkeit der Besucher:innen wetteifern. Neben Grafiken des österreichischen Bildungssystems strahlen zahllose Mädchen und Frauen von Fotos herab. Hinter einer hölzernen Kiste mit Büchern wechseln sich Bilder von Pferden mit Logos von österreichischen Hilfsorganisationen ab. Während ein großes Papier über Verhütungsmethoden aufklärt, zeigt ein noch viel größeres in handgeschriebenen Buchstaben auf, worum es hier eigentlich geht: Rom:nja in Österreich.
„Ich beschreibe mich eigentlich als Sozialarbeiterin, obwohl ich seit März 2019 auch die pädagogische Leitungsposition im Romano Centro übernommen habe“, erzählt Danijela Cicvaric. Und für die pädagogische Leiterin gibt es dort viel zu tun. Der Verein widmet sich den Anliegen von Rom:nja in Österreich. Er zielt darauf ab, die Lebenssituation der so stark marginalisierten Gruppe zu verbessern, und steht ihr mit Beratung aller Art zur Seite. „Am Anfang war das Romano Centro als Kulturverein vorgesehen“, erklärt die Sozialarbeiterin. „Aber wir haben schnell gesehen, dass Rom:nja, die in Österreich leben, auch viele andere Bedürfnisse an uns hatten.“
„Rom:nja sind eine Gruppe, die überall diskriminiert wird.“
Rom:nja gelten als eine der meist diskriminierten Volksgruppen Europas. Das zeigt auch der Antiziganismusbericht auf, der vom Romano Centro publiziert wird. Die Vorfälle zeigen sich im öffentlichen Raum und im Internet, in mehrheitsgesellschaftlichen Medien, in der Politik, in Arbeit und Bildung. Doch da hört die Liste nicht auf. „Rom:nja sind eine Gruppe, die überall diskriminiert wird“, erzählt Danijela Cicvaric. Daher betreibt das Romano Centro neben der Berichterstattung über Diskriminierungsvorfälle noch viele weitere Projekte. Im Jahr 2015 hat das Projekt Romane Thana im Wien Museum auf öffentliche Bewusstseinsbildung gesetzt, in den darauffolgenden Jahren in anderen Museen Österreichs. Zusätzlich stellt Romane Thana Unterrichtsmaterialien für den Schulbetrieb bereit. „Da kann man mit den Kindern die Thematik bearbeiten“, sagt Danijela Cicvaric. Denn sonst werden Rom:nja im österreichischen Lehrplan kaum behandelt.
Da Rom:nja-Kinder und -Jugendliche oft aus bildungsfernen Familien kommen, wird ihnen im Romano Centro außerdem Lernhilfe angeboten, wie die pädagogische Leiterin erzählt. Dabei besuchen Lernhelfer:innen die Schüler:innen zu Hause und bieten Unterstützung in verschiedenen Schulfächern an. Zusätzlich vermittelt die Rom:nja-Schulmediation zwischen Kindern, Eltern und Lehrer:innen, um einen erfolgreichen Bildungsabschluss zu unterstützen.
Was der pädagogischen Leiterin des Romano Centro aber am meisten am Herzen liegt, sind ihre feministischen Ambitionen. Denn wo Rom:nja-Männer Diskriminierung erfahren, sind Rom:nja-Frauen umso mehr betroffen. „Rom:nja-Frauen haben keine Stimme in der Gesellschaft und auch keine Stimme in der eigenen Community“, erzählt Danijela Cicvaric. „Deshalb haben wir beschlossen, Angebote extra für Frauen zu machen.“ Zum einen gibt es da die Mädchenwoche, in der Töchter aus Rom:nja-Familien mit den Mitarbeiterinnen eine Woche außerhalb von Wien verbringen. Dabei setzen sie sich mit Themen auseinander, von denen sie andernfalls vielleicht nichts erfahren. „Sie besprechen da wichtige Dinge, wie Identität, Frauenrechte, Beruf und Bildung. Aber auch Sexualität ist ein Tabuthema in sehr vielen Familien und damit Lebensplanung oder diverse Formen von Familien auch“, erzählt Danijela Cicvaric. Und weil die Mädchenwoche nur einmal im Jahr stattfindet, lädt das Projekt „Zurale Seja-Strake Mädchen“ die Mädchen monatlich zusätzlich zum feministischen Austausch ein. „Manchmal gehen wir ins Kino, um einen Film mit einer besonderen Thematik anzuschauen, worüber wir dann diskutieren können. Oder wir organisieren Workshops wie zum Beispiel Selbstverteidigungskurse. Einmal waren wir im Verhütungsmuseum. Die Mädchen sollen einfach die Möglichkeit haben, viele Dinge kennenzulernen“, fasst Danijela Cicvaric zusammen. Oft sehen die Mädchen sonst nämlich wenig Wahlmöglichkeiten, verlieren sich in traditionellen Rollen als Ehefrau und Mutter und verzichten damit weitgehend auf Unabhängigkeit. Viele leben am Rand der Gesellschaft und kennen nach einem ganzen Leben in Wien schlichtweg Orte wie den Stephansplatz nicht, wie die pädagogische Leiterin erzählt. Wie wirksam ihre Arbeit ist, sieht Danijela Cicvaric immer wieder. Etwa wenn sich ehemalige Kinder mit Lernschwierigkeiten später selbst als Lernhelfer:innen engagieren, weil sie mittlerweile studiert haben. Oder wenn junge Frauen ihr erzählen, dass sie ohne den Einfluss der Sozialarbeiterin schon längst verheiratet wären – wie die Tanten und die Mütter, die selbst mit 13 oder 14 geheiratet haben.
Ist es das, was Danijela Cicvarics Engagement antreibt? „Ich bin selber Romni. Das ist meine Identität und ich verberge das nicht. Und das ist es auch, was ich meinen Jugendlichen beibringen möchte“, erzählt die Sozialarbeiterin. Denn viele schämen sich für ihren Hintergrund oder haben Angst, durch die Offenlegung ihrer Herkunft in der Schule oder in der Arbeit umso mehr ausgeschlossen zu werden. Exklusion kennt Danijela Cicvaric als Romni mit Migrationshintergrund selbst. „Ich bin 2001 von Serbien nach Wien gekommen und konnte kein Deutsch, wirklich kein Wort. Da habe ich gemerkt, es ist nicht leicht, wenn man die Sprache nicht kann. Mir ist aufgefallen, du kannst Atomphysiker sein, wenn du die deutsche Sprache nicht beherrschst, schauen dich alle an, als wärst du dumm“, erinnert sie sich empört.
So sitzt Danijela Cicvaric heute hinter ihrem Schreibtisch vor der wild beklebten Bürowand, begrüßt zehn oder 15, manchmal sogar 20 Klient:innen pro Woche und macht das, was ihr damals als Schwäche angelastet wurde, heute zu ihrer großen Stärke: die slawische Muttersprache. „Den Klient:innen geht es um Themen wie Aufenthaltstitel, um Gesundheit oder soziale Situationen. Sehr viele sind von Armut betroffen, das ist eigentlich unser Hauptthema.“ Oft kommen die Menschen mit Taschen voller Briefe, mit Köpfen voller Sorgen und Verzweiflung an. Dann brauchen sie Beratung, Bestärkung und vor allem auch Übersetzungen von der serbischen Frau. Und obwohl sich das Romano Centro an Rom:nja richtet, kommen manchmal auch Menschen, die keine Rom:nja sind. Menschen, die aus Bulgarien kommen oder Mazedonien und von den Sprachkünsten der pädagogischen Leiterin gehört haben. Dann bittet Danijela Cicvaric auch diese Gäste in ihr Büro.
„Wir müssen lernen, dass sich die Gesellschaft verändert. Dass sich alle irgendwie an die Veränderungen anpassen müssen und nicht nur eine bestimmte Gruppe. Nicht nur die, die herkommen, sondern alle.“
„Ich werde ja niemandem sagen ‚Es tut mir leid, aber ich kann Sie nicht beraten, weil Sie keinen Roma-Hintergrund haben‘“, sagt Danijela Cicvaric. Genau das ist es auch, was sich die Sozialarbeiterin von der Gesellschaft wünscht: die Menschen individuell zu betrachten. Nicht über Gruppen zu urteilen, sondern zu schauen, was dieser eine Mensch gerade braucht, der vor einem steht. Mehr Offenheit und vielleicht auch ein bisschen mehr Adaptionsfähigkeit. „Wir müssen lernen, dass sich die Gesellschaft verändert. Dass sich alle irgendwie an die Veränderungen anpassen müssen und nicht nur eine bestimmte Gruppe. Nicht nur die, die herkommen, sondern alle.“
Danijela Cicvaric lächelt. Und hinter ihr lächeln die zahllosen Mädchen und Frauen von den Fotos herab. Ein Plakat erklärt das Frauenwahlrecht, auf einem anderen befindet sich ein Bild traditioneller Rom:nja-Musiker. Ausgeschnittene Kopien zeigen bekannte Persönlichkeiten der Pop-Kultur, deren Rom:nja-Hintergrund man nie erraten hätte. Daneben steht in blauer Handschrift geschrieben, wie viele Rom:nja schätzungsweise auf der Erde leben: 10 bis 12 Millionen.
Mehr über die Arbeit vom Romano Centro gibt es auf deren Website!
Fotocredits: Jolly Schwarz