Susanna Sulig und Lisbeth Bitto sind gleichermaßen Idealistinnen und Realistinnen. Und genau diese Mischung macht ihre Arbeit bei der Initiative TheaterFlucht aus, wie sie erzählen. Einmal im Jahr tanzen, lachen, trainieren sie mit Mädchen und jungen Frauen mit und ohne Fluchterfahrung – das bereits seit sechs Jahren. Für zwei Wochen im Jahr schaffen sie einen Raum, in dem sich junge Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und vielfältigen Geschichten kennenlernen können.
Es wird viel gelacht, wenn Susanna Sulig und Lisbeth Bitto von ihrem Projekt berichten. Man merkt: Hier passt die Chemie. Eine gute Chemie und Freundschaften innerhalb des Teams, das war Grundvoraussetzung für das Entstehen von TheaterFlucht im Jahr 2012. Gemeinsam mit zwei Studienkolleginnen hat Susanna Sulig damals das Projekt ins Leben gerufen. Mittlerweile besteht das Team aus zwei Koordinatorinnen, drei Theater- und Tanzpädagoginnen und vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern. Inspiriert durch ein Schweizer Vorbild holten sie das Theater- und Tanzprojekt nach Wien. „Wir hatten alle so das Gefühl, wieso nicht auch etwas machen, was sinnvoll ist und uns Spaß macht und unser Studium und die unterschiedlichen Knowhows zusammenträgt“, berichtet Susanna Sulig über die Anfänge.
Blauäugige Realistinnen
Gesagt, getan. Es wurde geplant, Konzepte wurden geschrieben und Anträge auf finanzielle Unterstützung gestellt. Im ersten Jahr haben sie dann auch gleich Förderungen und Preise bekommen und haben schließlich im Sommer 2013 gestartet. „Wir haben ein bisschen blauäugig losgelegt. Das ist manchmal auch gut, dass man im Vorhinein nicht gleich weiß, wie es rennen wird, und was alles auf einen zukommt. Wären wir am Anfang schon Realistinnen gewesen, hätten wir gesagt: Komm, wir lassen es! Sowohl was den bürokratischen Zettel-Wirrwarr, als auch die Arbeit mit den Kindern und der Zielgruppe, da waren wir definitiv nicht vorbereitet darauf. Das war für uns alle eine Herausforderung, aber es hat gut geklappt“, erzählt die Gründerin lachend. Begonnen haben sie mit Kindern und Jugendlichen aus dem „Freunde schützen“-Haus. Dort sind Familien untergebracht, die einen negativen Asylbescheid bekommen haben.
Learning by doing!
Ihre Zielgruppe: Zum einen Kinder, die aus einer psychisch sehr belastenden Situation kommen, zum anderen junge Menschen, die Lust auf Theater und Tanz haben und in ihrem Projekt zwei Wochen lang die Möglichkeit bekommen, ihre Alltagssorgen zu vergessen, Kind zu sein und sich selbst künstlerisch zu erfahren und ausdrücken zu können. Am Anfang hat das Team noch mit gemischtgeschlechtlichen Gruppen gearbeitet, wobei sich schnell herauskristallisiert hat, dass eine reine Mädchengruppe für die Dynamik besser ist. „Wir hatten zu Beginn nur einen Mann mit im Team, im zweiten Jahr waren wir nur Frauen. Schnell sind wir zur Einsicht gekommen, dass eine Gruppe aus Mädchen und Jungen auch von einem Team aus Frauen und Männern betreut werden sollte. Und wenn es schwierig ist Männer für unser Team zu finden, dann arbeiten wir eben mit Mädchen! So haben diese mehr Raum. In den ersten zwei Jahren gab es sowieso so viele fordernde zwischenmenschliche Situationen zwischen den Kindern und jedes Kind hat doppelt so viel Aufmerksamkeit gefordert, wie wir geben konnten. Nach den zwei Wochen waren wir alle krank, weil es so fordernd war – emotional, psychisch und physisch“, berichtet die Tanzpädagogin Lisbeth Bitto, die erst später zum Team gestoßen ist. Ein Realitätscheck, wie sie selbst sagen. Allen war klar, wenn sie das Projekt länger anbieten wollten, musste sich etwas ändern. Deswegen wurden die Gruppen verkleinert und nur mehr für Mädchen angeboten. „Den Mädchen die Möglichkeit geben, sich anders erfahren zu können, mehr Raum zu haben, ihren eigenen Körper frei erfahren zu können, ohne die Blicke von Burschen und jungen Männern, das war eine unserer Motivationen“, berichtet Lisbeth über den Entschluss, nur mehr mit reinen Mädchengruppen zu arbeiten.
Sich selbst Druck nehmen!
In diesen Gruppen wird dann zwei Wochen lang eine Tanz- und Theaterperformance einstudiert und für die große Abschlussvorstellung vorbereitet. In dieser Zeit wachsen die Teilnehmerinnen untereinander, aber auch mit dem Team zusammen. Dabei ist es für die Macherinnen besonders wichtig, genau zu definieren: Was können wir leisten und was nicht? Um sich dann darauf zu fokussieren, was sie erreichen können. In der Praxis bedeutet das, sie können sich die Probleme, von denen die Kinder oft erzählen, anhören, an Fachstellen vermitteln, dabei aber nicht in die Familien gehen und die Arbeit von Expertinnen und Experten übernehmen. Zwei Wochen, so lange haben beide Seiten Zeit, um miteinander zu arbeiten und das Beste herauszuholen. 2017 hat TheaterFlucht versucht, das Projekt ganzjährig anzubieten. Auch hier mussten sie einen Schritt Abstand nehmen und feststellen, dass die Dynamik und ihre Ziele besser in einem Sommerprojekt umzusetzen sind. Nicht zuletzt, weil neben der Kreativität, Konzeptionierung und Zeit auch das Budget immer ein Thema ist. 2018 hat das Team dann selbstbewusst gesagt: Wir verzichten auf Förderansuchen! Es war das entspannteste und schönste Jahr bis jetzt, wie Susanna Sulig und Lisbeth Bitto stellvertretend für das Team berichten. Den Spaß im Team und mit den Mädchen wieder in den Vordergrund zu rücken, war das Wichtigste. Sich selbst den Druck zu nehmen, war der Schlüssel zum Erfolg. Denn je entspannter das Team, desto entspannter die Atmosphäre, erzählen sie lachend.
Sozialer Mehrwert
Der Ablauf war in allen Jahren derselbe: Die motivierten Frauen gehen in Unterkünfte und stellen das Projekt vor. Der direkte Kontakt mit den Familien schafft Vertrauen und erhöht so die Chancen, dass die Mädchen mitmachen dürfen. Nach einem Probeworkshop geht es dann im Sommer auch schon los und Theater- und Tanzeinheiten lösen einander ab. In der Mittagspause wird dann Zeit miteinander verbracht und das im schönen Innenhof des Wiener WUK. „Das Spezielle an dem Projekt ist, dass es viel Raum für zwischenmenschliche Erfahrung gibt. Und natürlich sind die Theater- und Tanzklassen wichtig, das ist der Input, den wir ihnen geben wollen, wo der Zugang erschwert ist, gerade wenn sie aus einem Umfeld kommen, wo das Verständnis der Eltern nicht da ist. Gerade die Mittagspausen, wo sie Zeit haben, Verbindungen zu knüpfen zu den Betreuerinnen, dem Team und den anderen Mädchen, sind genauso wichtig. Das ist ein großer Aspekt von TheaterFlucht“, erzählt die Tanzpädagogin. Eine kleine Familie also. Tanz und Theater helfen dabei, sich zu öffnen und Nähe herzustellen – mit ein Grund, wieso alle Teilnehmerinnen so schnell zusammenwachsen. „Der Mehrwert aus dem Projekt für alle ist ein sehr sozialer. Ich denke mir jedes Jahr wieder, ich habe sehr viel gelernt und mitgenommen. Jedesmal lernen wir uns auch als Team besser und neu kennen. Auch dieser Perspektivenwechsel: Was haben diese Kinder zum Teil schon alles erlebt und wie viel Glück hat man selber. Die sind ganz anders stark und die Dankbarkeit für das Vertrauen, das einem entgegengebracht wird, ist groß. Wenn wir zwischenmenschlich gut miteinander umgehen können, haben wir alle was davon, das ist das Wichtige, was auch die österreichischen Kinder aus dem Projekt mitnehmen. Sie haben die Möglichkeit, nicht nur von Dingen zu hören, sondern sie von Angesicht zu Angesicht zu erleben“, berichtet Susanna Sulig über den Mehrwert der zwei Wochen. So werden spielerisch, direkt und ohne Scheu Fragen gestellt und Barrieren abgebaut. Interessant für die Macherinnen war, dass auch die in Österreich geborenen beziehungsweise aufgewachsenen Kinder es genießen, wenn sie einen Raum haben, in dem sie nichts leisten müssen, sondern sich ausprobieren und neu erfahren können. Keine Leistung für Anerkennung bringen zu müssen, ist dabei erleichternd für die Mädchen, wie sie aus der Zusammenarbeit berichten. Inklusives Bildungsprojekt – so bezeichnet sich das Team selbst.
Bühne frei!
Doch was haben Theater und Tanz mit Bildung zu tun? „Ich glaube, dass man definitiv manchmal in diesen zwei Wochen mehr lernt als in der Schule. Es gibt super Lehrer, die tolle Projektarbeiten machen und bestimmte Themen aufgreifen können. Aber was man bei so einem Projekt wie unserem emotional, körperlich und sozial lernen kann, das ist einfach noch mal eine ganz andere Ebene. Du hast das theoretische Lernen, da kannst du dir Wissen aneignen und es mitnehmen. Aber das Lernen, das ich körperlich und von meinem Gegenüber erfahren habe, ist nochmal ein ganz anderes. Das schreibt sich anders in mir ein und das kann ich mittragen. Deshalb sind wir, glaube ich, sehr wohl ein Bildungsprojekt, weil sich ganz viele Dinge bilden: Freundschaften, Begegnungen, es gibt die Möglichkeit, sich künstlerisch zu bilden und zu erfahren“, erzählt die Gründerin über den Bildungsanspruch des Projektes. Wenn die beiden Frauen in die Zukunft blicken, dann ist für sie klar: Jetzt erst recht! Die finanzielle Lage ist schwierig geworden – Material, Räume, Verpflegung – auch für die grundlegenden Dinge ist es jedes Jahr wieder mühsam, eine Finanzierung aufzustellen. Aber ein Ziel haben sie immer im Blick: Sie wollen ein 10-Jahres-Jubiläum feiern. „Jetzt aufgeben, wo sich gesellschaftlich das Klima so ändert und es immer feindseliger wird – jetzt ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um zu sagen, wir hören damit auf“, berichtet Susanna Sulig über den Kampfgeist für ihr Projekt. Daher wird es auch dieses Jahr wieder heißen: Bühne frei!
Mehr Infos auf: www.theaterflucht.at
Gabriele Katterl
18. Februar 2019Hut ab für so viel Mut und Engagement!
Ich wünsche euch viel Erfolg und schöne Momente mit den Mädchen.